Die negative Dialektik des männlichen Subjekts
Reflexionen über eine materialistische Kritik der Geschlechterverhältnisse
Der gesellschaftliche Fortschritt fällt immer zusammen mit der … Emanzipation der Frau … Die Erweiterung der Vorrechte der Frauen ist die Grundvoraussetzung [!] für jeden gesellschaftlichen Fortschritt (Charles Fourier, zit. nach MEW. Bd.19, S.567.)
Das Ziel kritischer Gesellschaftstheorie – die Befreiung der gesamten Menschheit von allen Arten der Herrschaft des Menschen über den Menschen und sämtlichen Formen der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen – ist aufs engste mit der Problematik der Unterwerfung und Benachteilung von Frauen verknüpft. Ohne Umsturz der Geschlechterverhältnisse bleibt die menschliche Gattung dem blinden, selbstgeschaffenen Naturzwang ausgeliefert. Durch die Annahme eines männlichen bzw. weiblichen Geschlechtscharakters naturalisiert sich die spätkapitalistische Gesellschaft und verewigt Herrschaft und Ausbeutung. Damit behält die Position des radikalen Sozialisten Charles Fourier, der die Emanzipation der Frauen als „die Grundvoraussetzung“ gesamtgesellschaftlicher Emanzipation bezeichnete, auch nach der bürgerlichen Gleichberechtigung von Frauen Gültigkeit. Dieser Text arbeitet in der folgenden Argumentation im Rahmen einer materialistischen Kritik der Geschlechterverhältnisse die negative Dialektik des männlichen Subjekts heraus. Er übt gleichzeitig eine implizite Kritik am poststrukturalistischen und am marxistischen Feminismus. Moderne Frauenunterwerfung ist weder ein Diskursprodukt, dem durch Rekurs auf Vielheit zu begegnen wäre, noch ein Haupt- oder wahlweise: Nebenwiderspruch, der irgendwie mit politisch-ökonomischer oder rassistischer Diskriminierung zusammen zu denken wäre.
1. Das Subjekt zwischen Autonomie und Unterwerfung
Was ist das männliche Subjekt? Unter den Bedingungen der kapitalistischen Vergesellschaftung nimmt das Individuum die Form des bürgerlichen Subjekts an. Es begründete sich anfänglich durch den Ausschluss von Frauen aus der Gesellschaft und ist daher als ein männliches zu denunzieren. Es setzte alle Menschen als frei und gleich, erhob aber harte Zugangsschranken zu dem, was zum Menschengeschlecht dazugehören durfte. Das Subjekt ist daher die frauenunterwerfende Institution der Moderne. Aber es galt dem Anspruch nach für alle Individuen. Damit stieß es Emanzipationsprozesse in Gang, die immer größere Bevölkerungskreise in ihren Bann zogen und zunehmende Möglichkeiten für die Gestaltung des menschlichen Lebens schufen, dabei jedoch einem selbstgeschaffenen Unterminierungsprozess unterlagen. Der lief auf nichts weniger hinaus, als auf die Selbstzerstörung des Subjekts. Denn einerseits begründete es einen Schein von der Abschaffung geschlechtsdiskriminierender Verhältnisse. Dieser Schein kann andererseits jedoch nur gegen die Tendenz des männlichen bürgerlichen Subjekts also durch dessen Überwindung verwirklicht werden.
Das Subjekt unterwirft die innere und äußere Natur und begründet damit zugleich sowohl die Möglichkeit von Freiheit wie auch die modernen versachlichten Formen von Herrschaft und Unterwerfung, also ökonomische Vermittlung über den Wert und politische über den allgemeinen Willen. In der Form des Subjekts unterwirft das Individuum seine Triebe der Selbstbeherrschung und begründet sich als identisches Wesen, individuiert sich überhaupt erstmalig, setzt sich als ein sich in der Zeit durchhaltendes, einheitliches und einzigartiges Wesen.
Das Subjekt unterwirft die innere und äußere Natur und begründet damit zugleich sowohl die Möglichkeit von Freiheit wie auch die modernen versachlichten Formen von Herrschaft und Unterwerfung […]
Mit diesem sich als In-der-Zeit-identisch-setzen ist neben der Möglichkeit individueller Autonomie und Freiheit auch die Fähigkeit des Individuums zur Liebe gesetzt. Sie gründet auf der Möglichkeit von Individualität des Einzelnen, macht es damit denkbar, diesen einen Menschen und keinen anderen zu lieben, hemmungslos und aller Realität zum Trotze dem Schein zu verfallen, es gäbe für die eine oder den einen nur ihn bzw. nur sie. Damit eröffnete die Liebe einen Ausblick auf die Überschreitung dieses Subjekts hin zur verwirklichten und durchgeführten Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit aller Individuen, zur wahrhaft menschlichen Gesellschaft, in der tatsächlich alle Menschen so sind, wie sich in der bürgerlichen die Liebenden erscheinen. Es ist völlig abgeschmackt, die ‚romantische Liebe‘ als ‚bürgerlich‘ denunzieren zu wollen. Was bitteschön soll sie sonst sein? Und das spricht keinen Deut gegen sie. Die linke Propaganda gegen die ‚romantische Zweierbeziehung‘ (in zynischer Kälte als RZB diffamiert) zerschlägt die letzten Reste der Möglichkeit von Befreiung. Dass die Lieb ein verkümmertes Schattendasein fristet, das noch seiner Befreiung harrt, sollte gerade nicht gegen sie verwendet werden.
Vor dem Hintergrund einer menschlichen Gattungsgeschichte, die als fortschreitende Konfrontation des Menschen mit der Todesangst zu verstehen ist, geht es bei der Begründung des Subjekts immer auch um eine Überwindung des Todes. Die bürgerliche Gesellschaft, die auf der Individualität, auf dem Schein der Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit des Einzelnen basierte, musste den Tod hassen und aus dem Leben herauskatapultieren wollen. In diesem Streben nach wenn schon nicht der Überwindung des Todes, so doch immerhin der Todesangst, liegt neben der Begründung der Liebe die entscheidende Emanzipationskraft der bürgerlichen Gesellschaft. Keinem Wesen konnte die eigene Endlichkeit so unerträglich sein wie dem bürgerlichen Individuum, weil die Endlichkeit naturhaft ist und damit der vernunftgeleiteten Kontrolle des Subjekts zu entgleiten droht. Der Tod wurde aber nur scheinhaft, nämlich durch Zuweisung an die Frauen überwunden. Das Subjekt wurde wesentlich zum Subjekt, indem es seine Endlichkeit an die Frauen delegierte, indem ihnen mit der Nähe zur Natur auch Tod und Endlichkeit zugeschrieben wurden und sich damit das männliche Subjekt als Naturüberwinder etablierte.
Anhand dieser Thematik verläuft die alles entscheidende Trennlinie der Emanzipation: Die bürgerliche Gesellschaft setzte Liebe und Überwindung des Todes als Möglichkeit. Soll diese überwunden werden, um Liebe und die Überwindung des Todes zu verwirklichen? Oder zielt die Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft gerade auf die Abschaffung beider auch noch der Möglichkeit nach, indem etwa behauptet wird, man habe den Tod als Teil des eigenen Lebens „für sich anzunehmen“. Hieran entscheidet sich, ob eine Position wahrhaftig auf Emanzipation zielt.
Das männliche Subjekt begründete also einerseits die Möglichkeit von Freiheit, Autonomie, Glück, Liebe, Überwindung des Todes und stellt andererseits die moderne Form, die versachlichte und verdinglichte Form von Ausbeutung und Unterdrückung dar. Das Subjekt bestimmte sich wesentlich als männlich und grenzte sich von Frauen als Nichtsubjekten ab.
2. Vorgeschichte des Subjekts: Folter und Gewalt gegen Frauen in der Hexenverfolgung
Das bürgerliche Subjekt, der Träger von Autonomie und Selbstbestimmung, basiert auf einer in der Frühen Neuzeit reetablierten Frauenunterdrückung, die in der systematischen Verfolgung eines ganzen Geschlechts ihren Ausdruck fand. Die Hexenverfolgung ist dabei nicht einfach ein Beispiel für Frauenunterwerfung, sondern konstituierende Gründungskatastrophe der bürgerlichen Moderne. Sie wird hier herangezogen, weil sie das Grundmuster sowohl der bürgerlichen Subjektbildung, als auch der Frauenunterdrückung, als auch bürgerlicher Naturunterwerfung abgibt.
Das freie und autonome Subjekt wurde unter Qualen vor allem von Frauen geboren. Es entsprang den Folterexzessen der Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit. Sie gehörten weder zum Mittelalter noch waren sie ein Werk der kirchlichen Inquisition. Diese immer noch verbreiteten Vorstellungen verstellen die Einsicht in den modernen und bürgerlichen Charakter dieses Exzesses. In jener Zeit begründeten sich das moderne Verständnis von Naturunterwerfung, die technisch-instrumentelle Naturbeherrschung und die Herrschaft über sich selbst. Das gesamte moderne Verständnis von Mensch und Natur wäre ohne die Hexenverfolgung undenkbar – die Scheiterhaufen der Hexenverfolgung waren das Zündfeuer für die Fackel der Aufklärung. Das spätere bürgerliche Subjekt schmiedete in dieser Zeit seine Freiheit und Autonomie.
Keinem Wesen konnte die eigene Endlichkeit so unerträglich sein wie dem bürgerlichen Individuum, weil die Endlichkeit naturhaft ist und damit der vernunftgeleiteten Kontrolle des Subjekts zu entgleiten droht.
Den ‚Hexen’, denen magisch-mystische Praktiken unterstellt wurden, sollte das Wissen um die Natur mit äußerster Gewalt abgetrotzt werden. Das sich begründende männliche Subjekt erstrebte die Naturbeherrschung. Das konnte ihm – selbst ein naturhaftes Wesen – nur in der Doppelform einer Herrschaft über Frauen und Natur gelingen. Um sich, seine eigene Natur zu beherrschen, unterwirft es einen Teil der Menschheit als Natur. Frauen hatten dafür einzustehen, dass der Mensch sich beherrschen muss, um im emphatischen Sinne wirklich Mensch, dass heißt: ein freies und autonomes Subjekt zu werden. Prinzipiell abzulehnen ist jegliche Glorifizierung des ‚magischen‘ Naturumgangs oder eines feministisch daherkommenden Hexenkultes, weil ein derartiger Bezug nur gegen die mit dem Subjekt ebenfalls entstandenen Möglichkeiten von Freiheit und Glück gerichtet ist.
Paradoxerweise schufen die mit der Hexenverfolgung verbundenen Umbrüche die Grundlage für den Schein von Freiheit und Autonomie des Subjekts – aber auch die Bedingung seines Umschlagens in die Barbarei. Die sich daraus ergebende Konstellation ist mehr als verzwickt. Entweder befördert man die Barbarei durch Leugnung des Grauens, auf dem heutige Freiheit und Autonomie basieren, oder man forciert die Barbarei, indem man die im Grauen entstandenen Chancen einer Emanzipation von der Natur, einer Überwindung des Todes, die Chancen auf Individualität und Freiheit leugnet. Letztlich kann es hier keinen anderen Weg geben, als ein „Eingedenken der Natur im Subjekt“ (Horkheimer/Adorno: Dialektik der Aufklärung. S. 58.): Auf das Grauen der Aufklärung und Subjektbildung reflektieren, ohne die darin enthaltenen Momente von Emanzipation zu verabschieden. Denn ein Abschied von der Aufklärung aufgrund ihres Grauens hätte nicht nur die gleiche Barbarisierung im Schlepptau wie die Ausblendung des Schreckens, sondern seine äußerste Zuspitzung bzw. seinen Umschlag in die Barbarei, quasi eine Revolution mit negativen Vorzeichen, durch den Wegbruch der in ihm enthaltenen Momente von Freiheit und Autonomie. Es führt kein Weg dran vorbei: „Wir sind zum Guten oder Schlechten die Erben der Aufklärung…“ (Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft. S.122f.).
Die Entstehung des Subjekts ist also im Kontext der Unterwerfung von innerer und äußerer Natur zu verorten. Sein Kern ist die Selbstunterwerfung des einzelnen Menschen, ohne den eine vermittelte und versachlichte Gesellschaft undenkbar wäre. Die für diese Gesellschaft nötige Herrschaft über die Natur, besonders die innere, spiegelt sich innerhalb der menschlichen Gattung als Unterwerfung von Frauen wider.
3. Der Schein von Freiheit und Autonomie des privatkapitalistischen männlichen Subjekts
In das liberale Zeitalter fällt der Höhepunkt des Subjekts der kapitalistischen Gesellschaft. Hier kommt seine Dialektik vollständig entwickelt zum Vorschein. Vor dem Hintergrund der Folter- und Gewaltgeschichte mit der das männliche Subjekt zur Welt kam, erscheint die kapitalistische Gesellschaft sich selbst im 18./19. Jahrhundert siegesgewiss als aufgeklärt. Sie kann das Blutbad, auf dem sie gründet, getrost vergessen. Der Liberalismus bestimmt die Menschen als frei und gleich und konstituiert die Menschheit als versachlichte Beziehung von warentauschenden Rechtssubjekten. Das ist eine Form von Gesellschaft, die ihren Zusammenhalt durch Vergleichung von Produkten zu Waren durch den Wert, durch das reale Absehen von ihrer sinnlichen Gestalt im Tausch, herstellt. Verhalten sich die Individuen zu ihren Erzeugnissen als zu Werten, so müssen sie sich zueinander als zu Subjekten verhalten.
Fourier geht über Marx hinaus, insofern er die Frauenunterdrückung als Grundlage kapitalistischer Herrschaft und Ausbeutung erkennt und damit die Notwendigkeit formuliert, sie zu beseitigen, um zu wirklicher Emanzipation zu gelangen.
Die Individuen werden durch den Staat zu Subjekten verglichen, die sich bedeutend ähnlicher sind als ein Ei dem anderen und doch als Individuen vom Schein der Einzigartigkeit beseelt sind. Herrschaft und Ausbeutung verlaufen nicht mehr persönlich, sondern vermittelt über Sachen. Es besteht also eine sachliche Herrschaft des Geldes, des Rechts, von Prinzipien.
Frauen bleiben dabei ausgeschlossen. Als Staats- und Tauschsubjekte sind nur Männer zugelassen. Frauen gelten als nicht vernunftfähig, sondern als naturhaft, bloß emotionsgeleitet und irrational. So sprechen revolutionäre Schriftsteller wie Rousseau und Diderot der Frau jegliche Vernunft ab. Die frühe Feministin Olympe de Gouge, die zur Zeit der französischen Revolution die Geltung der Menschenrechte auch für Frauen proklamierte, wird dafür von den Bürgern auf der Guillotine ermordet. Dass Frauen real sehr wohl ungleich waren, verbarg sich unter dem Schleier der Freiheit und Gleichheit, der die bürgerliche Gesellschaft umgibt. Die Unterwerfung der Frau auch in einer dem Schein nach herrschaftsfreien Gesellschaft wie der liberalen gibt erst die Grundlage dafür ab, dass diese Gesellschaft existieren kann. Die Frauen sind fortgesetzt das Gegenbild zum sich selbst beherrschenden Subjekt, Repräsentantinnen der an sich selbst vollzogenen Unterwerfung, die ohne Unterordnung der Frauen nicht hätte praktiziert werden können.
Im Kontext der indirekten Fortsetzung von Ausbeutung und Herrschaft formulierte Marx sein Programm zur Abschaffung der kapitalistischen Gesellschaft. Der unter der Hand, nämlich in versachlichter, fetischistischer Form fortbestehenden Herrschaft, setzte er die völlige Freiheit des Individuums entgegen: alle Verhältnisse sollen abgeschafft werden, in denen der einzelne immer noch ein unfreies Wesen ist. Marx hielt der kapitalistischen Gesellschaft vor Augen, dass sie ihr Glücksversprechen nicht einlöste, dass Herrschaft und Ausbeutung nur dem Scheine nach beseitigt sind. In der gesamtgesellschaftlichen Aneignung der Produktionsmittel durch frei assoziierte Individuen sah er den Weg völliger Befreiung der Menschheit.
Marx’ ‚frühsozialistischer‘ und ‚utopischer‘ Vorgänger Charles Fourier, nicht nur in diesem Punkt radikaler als Marx, formulierte in diesem Zusammenhang die Befreiung der Frauen als Motor gesellschaftlicher Emanzipation. Fourier geht über Marx hinaus, insofern er die Frauenunterdrückung als Grundlage kapitalistischer Herrschaft und Ausbeutung erkennt und damit die Notwendigkeit formuliert, sie zu beseitigen, um zu wirklicher Emanzipation zu gelangen.
Im Zeitalter des Liberalismus, dem historischen Höhepunkt der Aufklärung, erschien das männliche Subjekt als freies und autonomes Wesen in einer versachlichten Gesellschaft. Dies war nur Schein, hätte aber durch einen revolutionären Umbruch der liberalkapitalistischen Gesellschaft verwirklicht werden müssen. Ein solcher Umbruch fand nicht statt. Die Fortsetzung der Unterwerfung von Frauen, ihre Ausgrenzung aus der Gesellschaft der Freien und Gleichen, steht für die Fortsetzung von Ausbeutung und Herrschaft in der kapitalistischen Gesellschaft.
4. Der Verfall des männlichen Subjekts – Sexismus als Basisideologie der kapitalistischen Vergesellschaftung
Im Zuge fortschreitender kapitalistischer Entwicklung kam es infolge des ausbleibenden revolutionären Bruchs zum Verfall des männlichen Subjekts. Ende des 19. Jahrhunderts erlitt die kapitalistische Produktionsweise mit Einsetzen der großen Depression einschneidende Veränderungen. Die inneren Widersprüche des liberalen Kapitalismus führten zu dessen Zerstörung. Die privat-kapitalistische Gesellschaft gelangte unter die Federführung des Staates, die Unternehmen konzentrierten sich zu Konzernen und die Arbeiterinnen und Arbeiter wurden zu Rädchen im gesellschaftlichen Produktionsorganismus. Unter Konstituierung einer zweiten Natur bildet sich ein organischer Kapitalismus heraus, der die Einzelnen zu bloßen Anhängseln der Kapitalbewegung degradierte. Das fetischistische Vergesellschaftungsprinzip wird naturalisiert und irrationalisiert. Der Wealth of nations (Adam Smith, 1776) und das pursuit of happiness (amerikanische Unabhängigkeitserklärung, ebenfalls 1776) sowie die vernünftige Einrichtung der Welt werden fallen gelassen. Zwar gelten Frauen sukzessive als Subjekte, was sowohl den Bestrebungen der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung als auch dem Heißhunger des Kapitals nach verwertbaren Arbeitskräften zuzuschreiben ist. Frauen wurden Subjekte in einer Zeit, in der das freie und gleiche Rechtssubjekt in klassischer Form überhaupt nicht mehr existierte. Das ist die große historische Tragödie der Frauenemanzipation. Der frauenunterwerfende Kern des Subjekts schlägt jetzt voll durch. Es konstituiert sich der Sexismus als Basisideologie der naturalisierten kapitalistischen Gesellschaft. Die Männerwelt fühlt sich durch die ohnehin nur sehr spärlich und unter unvorstellbaren Hindernissen nachrückenden Frauen bedroht. Als nunmehr zwar zur Gesellschaft Zugelassene werden Frauen nun sexistisch als biologisch minderwertig diskriminiert. Der Sexismus ist dabei als eine Ideologie der Biologisierung gesellschaftlicher Zusammenhänge zu verstehen. Die Gesellschaft und das menschliche Denken selbst werden nun sexistisch als geschlechtlich bedingt verklärt. Friedrich Nietzsche, zusammen mit Otto Weininger einer der entscheidenden Wegbereiter des Sexismus, etwa propagiert, dass „Grad und Art der Geschlechtlichkeit eines Menschen“ Geschlechtlichkeit das Wesen, das Denken und den Charakterzug „bis in den letzten Gipfel seines Geistes“ bestimmen (Nietzsche, Friedrich: Jenseits von Gut und Böse. Stuttgart 1988. S. 73.). Nicht obwohl, sondern gerade weil sie de facto dazugehören, wird den Frauen aufgrund ihrer vermeintlich andersartigen Natur ein abweichender Charakter zugeschrieben – die Annahme eines natürlich gegebenen Geschlechtscharakters setzt sich durch.
Die Zerstörung der Individualität hat ihre wesentliche Ursache darin, dass die Individuierung den Frauen vorenthalten und an ihnen vollzogen wurde. Sie blieb unvollständig, weil Frauen von ihr ausgeschlossen blieben. Die bloße Integration der Frauen in die bürgerliche Rechtssphäre und in die Form des Subjekts bildet eine neue Form der Frauenunterwerfung. Die sexistische Ideologie und ihr inhaltlicher Kern, die Annahme eines biologisch determinierten Geschlechtscharakters, stehen prototypisch für den Verfall des Subjekts im Spätkapitalismus.
Exkurs: Männlich, westlich und weiß?
In linken Auseinandersetzungen ist es üblich, die Dialektik des Subjekts auszublenden. Weder die in ihm angelegten Momente der Befreiung noch ihre Schleifung in seinem Verfall und der anschließende Umschlag des Subjekts können auf diese Weise ins Auge gefasst werden. Dafür steht der von dem wertkritischen Autoren Robert Kurz entwickelte Begriff des Subjekts als eines „MWW“: das „männliche“, „westliche“ und „weiße“ Subjekt (Vgl. hierzu: Kurz, Robert: Das Subjekt ist der Wert.).
Zwischen dem liberalen Subjekt des 18. Jahrhunderts, das sich selbst als aufgeklärt und vernünftig wahrnimmt, und dem des 19. Jahrhunderts, das Glück für unerreichbar hält, Ausbeutung und Herrschaft für in der Natur des Menschen angelegt erklärt und Frauen wie Männern einen unwandelbaren Geschlechtscharakter zu schreibt, liegt ein feiner, aber grundlegender Unterschied, den diese Sichtweise ausblendet. Richtig ist hingegen: Zunächst umfasst das Subjekt nur Männer und beansprucht dabei Geltung für alle. Erst später wird die gesamte Gesellschaft rassistisch, sexistisch, nationalistisch und antisemitisch interpretiert. Die spätkapitalistische Gesellschaft ist von der Ewigkeit und Naturnotwendigkeit von Ausbeutung, Herrschaft und Leid überzeugt. Es kommt darauf an, diesen Bruch im Subjekt zu zeigen. Im scharfen Kontrast zur MWW-Theorie ist das Subjekt nicht rassistisch, sexistisch…, weil es männlich und weiß ist, sondern es wird rassistisch, sexistisch…, weil es männlich und weiß ist. Es generiert diese regressiven Ideologien, weil es entgegen seinem Universalitätsanspruch partikular beschränkt blieb und in eine unheilvolle Dynamik getrieben wurde. Das Subjekt war in seiner liberalen Phase dem Schein nach autonom – und damit schuf es die Bedingung für die Durchsetzung wirklicher Autonomie. Das Individuum konnte nur in der zurechtgequetschten Form als männliches Subjekt auf die Welt kommen. Darin lag die Chance, dass es überhaupt erst einmal als ein identisches, sich zeitlich durchhaltendes Wesen gedacht wurde. Aber: in diesem Subjekt lag die Dynamik seiner Zerstörung, die es dazu trieb, tatsächlich zur Zwangsidentität zu mutieren – nicht etwa diese von Anfang an zu sein, aber sehr wohl diesen wahnhaften Kern von Anbeginn zu enthalten. Frauen wurden Subjekte in einer Zeit, in der das freie und gleiche Rechtssubjekt in klassischer Form überhaupt nicht mehr existierte. Das ist die große historische Tragödie der Frauenemanzipation. Das Subjekt von Anbeginn als „MWW“ zu begreifen bedeutet, die Zerstörungslogik, die negative Dialektik des männlichen Subjekts zu verkennen.
Kurz gegenüber muss betont werden, dass sein Programm der Zerstörung des Subjekts gerade die Eigenlogik des Subjekts, die in Nationalismus, Rassismus, Sexismus und Antisemitismus mündete, die „die bürgerliche Subjektform der Moderne mitsamt ihren Wurzeln auszureißen“(Vgl. Kurz, Robert: Tabula Rasa. In: krisis 27, hier S. 101.), unreflektiert nachzeichnet und damit die zerstörerischen Konsequenzen dieser Subjektform letztlich bejaht. Kurz vollzieht hier explizit den Weg des Subjekts in die Nazibarbarei nach.
Der Weg der Emanzipation verläuft jedoch genau anders herum: es geht um die Rettung dieses durchaus männlichen Subjekts, die Rettung gegen sich selbst – nämlich gegen die in ihm angelegte Tendenz zur Barbarisierung, zu seiner Auflösung in die Zwangsidentität. Diese Rettung ist in der Perspektive die Überwindung des Subjekts, das Ende jeglicher Diskriminierung von Frauen und des Sexismus, die „Allianz mit der Natur“ (isf, Aktualität des Kommunismus), das Ende der Spaltung der Gattung, die in ihrer Konsequenz auf ein Ende dessen hinausliefe, was wir heute unter sozialen Männern und Frauen verstehen. Ob es dann ‚noch‘ Geschlechter gibt, wird sich zeigen. Vorher sollte sich kritische Theorie einem Verzicht auf eine Definition des Körpers – ganz gleich ob »biologistisch-essentialistisch« oder »diskurstheoretisch-dekonstruktivistisch« - unterwerfen, weil alle derartigen Bestimmungen suggerieren, dass der Mensch seine Natur bereits hätte und man bestimmen müsse, inwieweit was natürlich gegeben bzw. oder was gesellschaftlich konstituiert/ sprachlich konstruiert ist. All das geht deswegen an der Wirklichkeit vorbei, weil es gerade Grundmoment kapitalistischer Gesellschaft ist, dass der Mensch seine Natur nicht ‚hat’, was sowohl für seinen Körper als auch die äußere Umwelt gilt. Das alles ist den Menschen unter Bedingungen des Privateigentums und der Kapitalakkumulation gerade entzogen, zumal der eigene Körper als Arbeitskraft. Was die menschliche Natur betrifft, gibt es weder etwas essentialistisch zu behaupten noch etwas diskurskritisch zu dekonstruieren, weil es da noch nichts gibt. der Mensch ‚hat’ unter diesen Bedingungen keine Natur. Die wäre erst zu gewinnen nicht aber zu dekonstruieren. Jedenfalls kann niemand sagen, wie sie denn aussähe, wenn sie denn da wäre.
Eine Kritik des männlichen Subjekts muss sowohl auf dessen in ihm angelegte befreiende Momente als auch auf seinen Umschlag in die sexistische Zwangsidentität reflektieren. Anderenfalls läuft sie Gefahr, das durch dieses Subjekt selbst in die Welt gesetzte Grauen zu legitimieren.
Fazit: Thesen zur materialistischen Kritik des Geschlechterverhältnisses
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Die grundlegenden Kategorien der kapitalistischen Gesellschaft sind ohne die Unterwerfung von Frauen weder denk- noch praktizierbar. Fouriers Satz, nach dem die Emanzipation der Frau der Motor gesellschaftlicher Emanzipation ist, muss unbedingt aufrechterhalten werden.
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Frauenunterwerfung in der kapitalistischen Gesellschaft ist wesentlich über das männliche Subjekt begründet. Das ist die Form der versachlichten Herrschaft am einzelnen Individuum selbst. Sein Kern ist die Beherrschung innerer und äußerer Natur. Die Selbstherrschaft des Menschen über die Natur spiegelt sich innerhalb der menschlichen Gattung als Unterwerfung von Frauen wider. Ihre Assoziierung mit Natur und ihre Unterwerfung ist der Preis versachlichter Herrschaft.
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Das Subjekt beinhaltet gleichzeitig die Möglichkeit der Befreiung von jeglicher Herrschaft. Es enthält die Möglichkeit der Verwirklichung von Freiheit, Glück und Autonomie des einzelnen. Der alles entscheidende Schritt, die Beseitigung auch der versachlichten Ausbeutung und Herrschaft und damit der Unterwerfung von Frauen, ist noch zu gehen.
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Aufgrund des ausbleibenden Bruchs mit der versachlichten Herrschaft kam es zum Verfall des Subjekts. Wo es im Spätkapitalismus noch fortschrittlich auftrat, revolutionierte es den Fortgang der Selbstzerstörung der Gesellschaft, also die Verstrickung ins Verhängnis. Im Nationalsozialismus schlug das Subjekt schließlich auf seiner eigenen Grundlage um. Das heißt: Jegliche befreiende Momente, die es einst enthielt, wurden zerstört. Von dem, was das Subjekt einst auszeichnete, blieb nur die Herrschaft über sich selbst, ohne jeglichen Zweck. Im Leerlauf der Selbstbeherrschung wird es zur nationalistischen, antisemitischen, rassistischen und sexistischen Zwangsidentität, die sich im Nationalsozialismus zur gesellschaftsstiftenden Instanz erhebt.
Ob es dann ‚noch‘ Geschlechter gibt, wird sich zeigen. Vorher sollte sich kritische Theorie einem Verzicht auf eine Definition des Körpers – ganz gleich ob »biologistisch-essentialistisch« oder »diskurstheoretisch-dekonstruktivistisch« - unterwerfen, […]
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Mit dem Eintritt der Frauen in die bürgerliche Rechtssphäre wurden die patriarchalen Verhältnisse gerade nicht gekappt, sondern vielmehr als globaler Schrecken universalisiert, als Geschlechtscharakter biologisiert und damit verewigt. Verallgemeinert wurden also nicht die Freiheit und Gleichheit von Männern und Frauen, sondern: als nunmehr offiziell freie und gleiche Menschen wurden Frauen durch Naturalisierung und Irrationalisierung von gesellschaftlichen Unterschieden sexistisch herabgemindert. Das Subjekt befand sich zum Zeitpunkt der bürgerlichen Emanzipation der Frauen bereits in seinem Verfall. Die Gesellschaft, in die sie sich ‚hineinemanzipierten‘, war nicht mehr emanzipatorisch.
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Die gesamte Gesellschaft wurde jetzt als Fortsetzung der von Darwin als ewige Schlachtbank konzipierten Natur vorgestellt. Männlichkeit und Weiblichkeit stehen für die unter naturalisierten kapitalistischen Verhältnissen scheinhaft verewigte Herrschaft und Ausbeutung. Das liberale männliche Subjekt träumte noch vom Glück aller auf Kosten von Frauen. Sein Glück galt scheinbar für alle, doch real meist nur für Männer. Das spätkapitalistische Subjekt träumt dagegen von überhaupt nichts mehr als von der Ewigkeit des selbst produzierten Schreckens, kennt kein Glück für irgendwen. In der liberal-kapitalistischen Gesellschaft herrschte die dem Scheine nach vernünftige Gleichheit aller Menschen, in der Männer gleicher waren als Frauen. Daraus erwuchst eine Gesellschaft der repressiven Gleichheit, in der alle Menschen ungleich sind – aber Frauen ungleicher.
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Der Sexismus als spätkapitalistische Basisideologie steht für einen über alle Maße hinaus verallgemeinerten und zugespitzten gesellschaftlichen Naturzwang, für aufs äußerste angespannte Herrschaft und Ausbeutung. Ein Naturzwang ist dies deshalb, weil es den Individuen wie eine Naturkatastrophe entgegentritt. Gleichwohl ist dieser Zwang von ihnen selbst, gesellschaftlich, aber ohne ihr Bewusstsein, erzeugt. „Sie wissen es nicht aber sie tun es“ (Marx, Kapital 1). Er ist keine Nachwirkung früherer Zeiten, sondern wahnhaftes Ergebnis des Zerfalls des männlichen Subjekts, daher nicht durch Aufklärung und Moderne bekämpfbar sondern ihr ureigenstes Produkt.
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Eine materialistische Kritik des Geschlechterverhältnisses muss sich strikt gegen Theorien einer Verquickung von kapitalistischer Gesellschaft und Patriarchat wenden. Via Bildung des Subjekts, d.h. notwendig via instrumentelle Beherrschung innerer wie äußerer Natur, ist die Unterwerfung von Frauen systematisch in die kapitalistische Vergesellschaftung eingeschaltet. Kapitalistische, und dass heißt immer versachlichte, Herrschaft ist undenkbar ohne die Selbstbeherrschung des Einzelnen. Das gilt ungebrochen bis heute und blieb vom alten Subjekt über seinen Umschlag hinaus nicht nur erhalten, sondern spitzte sich bis aufs äußerste zu.
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In der kapitalistischen Gesellschaft ist das alte Patriarchat aufgehoben, nicht aber die Unterwerfung und Diskriminierung von Frauen. Die kapitalistische Gesellschaft überwindet die alten direkten Herrschaftsformen, indem sie sie in versachlichter Form fortsetzt und sie so zu ihrer eigenen Existenzgrundlage erklärt.
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Männlichkeit und Weiblichkeit als Geschlechtscharaktere müssen verschwinden, wenn die kapitalistische Gesellschaft überwunden werden soll. Gleichzeitig sind sie selbst ein entscheidendes Argument für ihre Abschaffung. Die Emanzipation der Frauen ist ungebrochen als Grundvoraussetzung gesamtgesellschaftlicher Emanzipation zu betrachten.
Zum Weiterlesen:
Böhme, Micha: Die Verdinglichung gesellschaftlicher Verhältnisse am Subjekt - Geschlecht und Natur als Grenzbegriffe: CEEH IEH 164 und 165
Bovenschen, Silvia: Die aktuelle Hexe, die historische Hexe und der Hexenwahn – Die Hexe als Subjekt und Objekt der Naturaneignung und der Naturbeherrschung, in: Becker, Gabriele, Silvia Bovenschen und Helmut Brackert: Aus der Zeit der Verzweiflung: zur Genese u. Aktualität d. Hexenbildes. Frankfurt 1977
Butler, Judith: Körper von Gewicht, Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Frankfurt/M. 2001
Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/M. 2003
Fourier, Charles: Aus der neuen Liebeswelt, Berlin 1977
Gransee, Carmen: Grenzbestimmungen, Zum Problem identitätslogischer Konstruktionen von „Natur“ und Geschlecht, Tübingen 1999
Holland–Cunz, Barbara: Soziales Subjekt Natur, Natur- und Geschlechterverhältnis in emanzipatorischen politischen Theorien, Frankfurt 1994
Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt 1997
Horkheimer, Max: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Frankfurt/ M. 1967
Kurz, Robert: Tabula Rasa, in Krisis 27, Bad Honnef 2003
Kurz, Robert: Das Subjekt ist der Wert – Weiße Aufklärungsmänner in Aktion (in: Die antideutsche Ideologie) in: Robert Kurz: die antideutsche Ideologie, Münster 2003
Palm, Kerstin: Neuzeitliche Naturauffassung und Weiblichkeitsvorstellung, Feministische Interpretationen ihrer Zusammenhänge. In: Helene Götschel & Hans Daduna. PerspektivenWechsel. Frauen- und Geschlechterforschung zu Mathematik und Naturwissenschaften. Reihe „Sammlung kritisches Wissen“, Talheim 2001
Scheich, Elvira: Naturbeherrschung und Weiblichkeit, Denkformen und Phantasmen der modernen Naturwissenschaften, Pfaffenweiler 1993
Scholz, Roswitha: Das Geschlecht des Kapitalismus, Feministische Theorien und die Metamorphose des Patriarchats, Bonn 2000
Sigusch, Volkmar: Vom Trieb und von der Liebe, Frankfurt 1984
Sommerbauer, Jutta: Differenzen zwischen Frauen, Zur Positionsbestimmung und Kritik des postmodernen Feminismus, Münster 2003
Trumann, Andrea: Feministische Theorie, Frauenbewegung und weibliche Subjektkonstitution im Spätkapitalismus, Stuttgart 2002
Trumann, Andrea: Die Verwissenschaftlichung des Rassengedankens. Oder: Von Darwin zum Sozialdarwinismus, In: Das Leben lebt nicht. Postmoderne Subjektivität und der Drang zur Biopolitik. Herausgegeben von „die röteln“ , Berlin 2006
Türcke, Christoph: Sexus und Geist, Philosophie im Geschlechterkampf, Lüneburg 2001
Woesler, Christine: Für eine begreifende Praxis in der Natur, Gießen 1978