Charlotte Mohs & Koschka Linkerhand

Fat is a feminist issue

Oder: Ein guter Grund, Susie Orbach und die zweite Frauenbewegung in Ehren zu halten

Das gesellschaftlich vorherrschende Schönheitsideal ist scheiße, darüber sind sich alle einig. Demzufolge bedürfte es der näheren Betrachtung nicht – oder?
Bodies – Schlachtfelder der Schönheit, das neue Buch der Psychotherapeutin Susie Orbach, macht das Ausmaß deutlich, das der Körperfetisch gegenwärtig erreicht hat, und führt die Notwendigkeit vor Augen, eine Debatte darüber zu forcieren. Obwohl es sich in gesellschaftskritischen Kreisen um eine Binsenweisheit handelt, dass der Körper als Arbeits- und Freizeitobjekt eine wichtige Rolle im Vergesellschaftungsprozess innehat, stehen einem beim Lesen doch regelmäßig die Haare zu Berge: Die Hälfte der jungen Koreanerinnen unterzieht sich einer Augenoperation, die das Lid westlichen Standards anpasst; ein US-Amerikaner/eine US-Amerikanerin gibt durchschnittlich fast 2$ am Tag für Diätprodukte aus; und mit 160 Milliarden Dollar Jahresumsatz schaffte es die Schönheitsindustrie 2005 immerhin auf ein Drittel des Umsatzes der Stahlindustrie. Dieses wirtschaftliche Wachstum wäre an sich nicht sehr erstaunlich, hat das Kapital doch schon immer großen Erfindungsreichtum bewiesen, was die Erschaffung profitabler Konsumbedürfnisse angeht. Aber diese Entwicklung ist in einem besonderen Zusammenhang zu sehen: als Ausdruck einer Vermittlung des spätkapitalistischen Subjekts zu seinem Körper, die immer konfuser und bewusstloser anmutet. Deswegen möchten wir im Folgenden Orbachs Buch besprechen – um einige Aspekte daraus für eine linke, feministische Gesellschaftskritik fruchtbar zu machen sowie Lücken in der linken Debatte aufzuzeigen.

Die bloße Feststellung, dass das Schönheitsideal scheiße und entweder zu negieren oder subversiv zu unterlaufen ist, mag richtig sein; sie wird der Reichweite der Problematik und seinen Folgen vor allem für Frauen jedoch nicht gerecht.

Nach zwei früheren Büchern über Esssucht und Magersucht1 klagt die Feministin erneut das bestehende Schönheitsideal, Körpernormierung und deren fatale Folgen vor allem für Frauen mit einer schlichten, aber prägnanten These an: Wir leben in einer „Epoche der Destabilisierung des Körpers“, in der Probleme mit dem Körper nicht allein Ausdruck und Ventil psychischer Ängste und Konflikte sind (wovon die Psychoanalyse traditionell ausgeht); sondern die Angst und Unsicherheit mit dem Körper ist selbst das Problem, und die Zahl derer, die ihren Körper nicht als zu sich zugehörig empfinden, wächst stetig. Das heißt: Die Gesellschaft – betont sei hier die Rolle der Familie als tragende Instanz des „Verkörperungsprozesses“ – strukturiert unsere Körperlichkeit auf eine krankhafte Weise, die psychische Sehnsüchte und emotionale Konflikte hervorbringt, die sich nicht allein auf somatischer Ebene äußern, sondern von vornherein auf den Körper bezogen sind. Damit droht eine selbstverständliche und stabile Körperlichkeit, in der man das eigene Selbst verorten kann, zu verschwinden. Stattdessen nehmen mehr und mehr Menschen ihren Körper als Belastung wahr und erleben ihn als nicht richtig. „Der Körper […] verwandelt sich vom Produktionsmittel in das zu Produzierende“: Das Korrigieren und Perfektionieren des eigenen Äußeren wird zur alltäglichen Aufgabe, der Erfolg dieser Bemühungen stellt die eigene Kompetenz und Willenskraft unter Beweis. So wurde die Gestaltung des Körpers in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr der individuellen Verantwortung zugeschoben. Gesellschaftliche Anerkennung und der Wunsch dazu zu gehören stehen mit der Kompetenz, den eigenen Körper zu verändern, in enger Verbindung. So ist es längst kein Schicksal mehr, ein haariges Muttermal auf der Schulter sitzen zu haben oder stark kurzsichtig zu sein; wer hier nicht Skalpell oder Laser ihres korrektiven Amtes walten lässt, ist selber schuld und quasi asozial. Jene Form der Selbstkompetenz kooperiert hervorragend mit der neoliberalen Ideologie, derzufolge allein die eigene Leistung zählt und jeder und jede dafür die gleichen Voraussetzungen mitzubringen hat.
Das Schlimme ist, dass dieser gesellschaftlich geforderte Umgang mit dem eigenen Körper – wie in kulturindustriellen Verhältnissen nun einmal üblich – sich in die individuelle Bedürfnisstruktur einfrisst. Davon ausgehend kritisiert Orbach ein gegenwärtig prominentes, postmodernes Körperverständnis für dessen illusionäres Weltbild des grenzenlosen Individualismus: Die Postmoderne reduziere den Körper auf ein beliebig bearbeitbares Konstrukt. Jede und jeder kann ihren/seinen Körper demnach so formen und verändern, wie es für sie/ihn am besten ist. Das mag in einem bestimmten Rahmen und in vielen Fällen zutreffen; aber das erforderliche Opfer ist groß. Die Verheißung von der individuellen Wahlfreiheit, die einige postmoderne Ansätze zelebrieren, „ist unzulänglich, wenn es um die Bedürfnisse des postindustriellen Körpers geht.“ Orbach setzt ihm eine psychoanalytische Betrachtungsweise entgegen, die die Leser_innen daran erinnert, dass es die Spannung zwischen Individuum und Gesellschaft zu retten gilt durch die Stärkung des Subjekts – nicht durch seinen Zerfall in Tausende von Identitäten. Es gilt, die allgegenwärtigen Angriffe auf die innersten Strukturen des Individuums zu kritisieren – nicht, Verhältnisse zu affirmieren, in denen auch ästhetisch bislang vernachlässigte Körperteile wie das Knie einer Schönheitsoperation unterzogen werden können.

Der Kampf gegen den entfremdeten Körper, gegen verbotene Genüsse und hartnäckige Bedürfnisse, entzieht sich der gesellschaftskritischen Debatte – er bleibt Teil des Privaten, das nicht politisch ist.

Anhand sehr rührender Einzelbeispiele wird die Reichweite deutlich, die die gesellschaftlichen Bedingungen für die Konstitution des Körperselbst haben. Extrembeispiele aus der therapeutischen Erfahrung der Autorin geben rasch zu erkennen, dass diese Extreme nur die Spitze des Eisbergs Normalität darstellen. Orbach berichtet von Patient_innen, die aufgrund ihrer speziellen Situation und Sozialisationserfahrungen an psychosomatischen Erkrankungen litten, etwa Wachstumsstörungen, Bulimie oder Kolitis. Allen gemeinsam war der Hass auf ihren Körper, der sich falsch anfühlte, und den sie sich in einem mehrjährigen Prozess unter therapeutischer Behandlung in einen neuen Körper umschaffen mussten, der ihr eigener war.
Mit Bezug auf aktuelle Forschungen in der Entwicklungspsychologie wird verdeutlicht, wie zentral die frühkindliche Entwicklung für die Strukturierung des Körpergefühls ist und was während dieser Zeit schon alles schiefgehen kann. Kinder erfahren in ihren ersten Jahren einen komplexen Cocktail an körperlichen Umgangsweisen vonseiten ihrer Bezugspersonen. Die Art und Weise, wie ein Baby berührt wird, ob angemessen auf seine Mimik und Gestik reagiert wird – all das formt die Körperlichkeit. Werden die Bedürfnisse des Kindes regelmäßig missachtet, empfindet das Kind nicht etwa die Eltern, sondern bald sich selbst als Problem. Es kommt zu einer inneren Spaltung, bei der es bestimmte Teile seines Selbst zurückstellt, weil sie in seiner Umgebung nicht erwünscht sind; die Konsequenz ist ein unechtes Selbst. Als entscheidend für die Entwicklung eines stabilen, positiven Körpergefühls sowie einer gefestigten Persönlichkeit betont Orbach z. B. genügend Berührungen, Wärme sowie ein positives Körpergefühl der Bezugspersonen. Diese Einflüsse auf körperlicher Ebene prägen zu einem entscheidenden Anteil unsere Gehirnstruktur und damit unsere Persönlichkeit.
Die Stärke des Buches liegt darin zu zeigen, dass der gesellschaftliche Mechanismus der Körpernormierung dem Individuum auf psychischer und physischer Ebene mehr und mehr Konflikte aufbürdet. Das globale Schönheitsideal, von den Massenmedien bis in die letzten Winkel der Welt getragen, setzt sich in den Bedürfnissen der Einzelnen fest. Die Folge ist aber nicht die Identität von gesellschaftlicher Norm und individueller Praxis, sondern die Verwirrung der Bedürfnisse, die sich in der gleichzeitig steigenden Vielfalt von Genussmitteln und Diätprodukten äußert. Orbach führt hier die Ausbreitung einer Snackmentalität an, deren Vertreter_innen sich, kostenintensiv und ernährungsphysiologisch zweifelhaft, mittels Bio-Vollkornkeks und Smoothie durch den Arbeitstag hangeln. Eine den Bedürfnissen des Körpers angemessene Regulierung von Hunger und Sättigung sowie ein intuitiver, lustbetonter Umgang mit dem eigenen Gewicht werden durch diese Tendenzen immer schwieriger.
Die bloße Feststellung, dass das Schönheitsideal scheiße und entweder zu negieren oder subversiv zu unterlaufen ist, mag richtig sein; sie wird der Reichweite der Problematik und seinen Folgen vor allem für Frauen jedoch nicht gerecht.

Weiblichkeit und Körperlichkeit

Der Kampf, den die Mehrheit der Frauen hinsichtlich Körper und Schönheit austrägt, ist bester Beweis dafür, dass wir das Modell der patriarchalen Gesellschaft noch nicht überwunden haben, in dem Frauen nun einmal tendenziell die Arschkarte gezogen haben. Wie auch, wenn die Binarität der Geschlechter und die sexistische Ideologie konstitutiv für den Kapitalismus sind?2
In der kapitalistischen Moderne ist es unumgänglich, den eigenen Körper als zu beherrschenden, zu formenden sowie als gewinnbringend zu verwertenden Besitz zu betrachten; ein solches Körperverständnis geht notwendig einher mit der Herausbildung des Subjekts. Das moderne Subjekt setzt sich von frühester Kindheit an in ein verdinglichtes Verhältnis zu seinem Körper, es kann nicht ganzheitlich als Körper, Psyche und Geist gleichermaßen existieren. Der Körper, als Objekt des Geistes, wird zum Naturverhafteten, über das der Geist solcherart verfügen kann und muss, wie am besten Kapital aus ihm zu schlagen ist. Dieses gewaltvolle Körperverhältnis des Individuums aber ist gesondert bei der Konstitution von weiblichen Subjekten zu betrachten, in denen die Verdinglichung in einem noch viel konsequenteren Ausmaß vonstatten geht als in männlichen.
Das Konzept vom Menschen als Subjekt ist ursprünglich auf den Mann zugeschnitten. Trotz der mannigfaltigen Transformation der gesellschaftlichen Stellung der Frau über die Jahrhunderte hinweg, die in der westlichen Welt schließlich zur rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter geführt haben, sind die Forderungen, die das (männliche) Subjekt an den (weiblichen) Körper stellt, insgesamt nicht geringer geworden. Die Frau hat nie aufgehört, in erster Linie Körper zu sein, respektive Sexualobjekt des Mannes und Austrägerin seiner Nachkommenschaft; dies bildet die fatale Grundlage für eine besonders zwanghafte Einstellung der Frau zu ihrem Körper. Mädchen bekommen diese quasi mit der Muttermilch eingeflößt. Von kleinauf lernen sie, ihren Körper nach den Parametern von Schönheit, Schlankheit und Weiblichkeit abzurichten.
Weibliche Sozialisation – sie reicht von der geringeren Stillzeit bis zum Sexismus in Spielzeuggestalt, der Barbiepuppe – vermittelt Frauen von Anbeginn, dass sie auf der Welt sind, um mithilfe ihres weiblichen Körpers zum Erfolg zu gelangen und dem Ziel, diesen zu vervollkommnen, alles andere unterzuordnen. Ihr Körper, das ist für viele Frauen: eine störrische Masse Fleisch, Haut, Haar und Knochen, aus der mit viel harter Arbeit und Selbstdisziplin eine annehmbare weibliche Identität erst zurechtgezimmert werden muss.
Der gesellschaftliche Wertmaßstab, an dem der Erfolg der Einzelnen gemessen wird, bleibt dabei männlich. Er betrachtet nämlich nicht nur, ob eine Frau ordentlich Geld verdient und nebenbei Familie und Haushalt versorgt, sondern ebenso, ob sie bei diesen Tätigkeiten auch gut aussieht (und nicht etwa nach der zweiten Schwangerschaft aus dem Leim geht). So manifestiert sich im Umgang mit der eigenen Körperlichkeit die hartnäckig fortbestehende Doppelbelastung der Frau: Als kapitalistisches Subjekt muss sie nicht nur ihre Arbeitskraft zu Markte tragen, sondern auch einen ihr völlig entfremdeten Körper.
Auf den Normierungszwang, der mit der weiblichen Identitätsbildung einhergeht, hat auch die normalerweise so flexible Kulturindustrie keine Antwort. Sonst so phantasievoll darin, neue Produktpaletten und Lifestyleformen auf den Markt zu schmeißen, um der Illusion vom Individualismus neue Nahrung zu geben, scheint sie für die Sparte ideale Schönheit weiterhin nur eine Schublade übrig zu haben: Orbach beschreibt, wie sich das Schönheitsideal während der letzten Jahrzehnte stark verengt hat, sodass mittlerweile Frauen von Korea bis Nigeria mit dem Problem konfrontiert sind, dünn, großbusig, schmalnasig und langmähnig sein zu müssen. Der kulturindustrielle Erfindungsreichtum, sonst schillernd in postmoderner Wahlfreiheit, macht hier Minuspunkte gegenüber dem großen Bruder Patriarchat.

So manifestiert sich im Umgang mit der eigenen Körperlichkeit die hartnäckig fortbestehende Doppelbelastung der Frau: Als kapitalistisches Subjekt muss sie nicht nur ihre Arbeitskraft zu Markte tragen, sondern auch einen ihr völlig entfremdeten Körper.

Bedauerlicherweise wird dieser patriarchale Punktsieg auch von Frauen beständig reproduziert, ja das Selbstbewusstsein und die Emanzipation der Einzelnen zeigen sich gerade darin, in welchem Maße sie mit den Schönheitsanforderungen d’accord geht. Dass die dem Ideal entsprechende, selbstbewusste Karrierefrau nicht der Emanzipation letzter Schluss, ihr sogar in mancherlei Hinsicht entgegen gesetzt ist, verbirgt der schönheitsideologische Schleier, der ins Individuum eingekehrt ist. Weibliches Selbstbewusstsein heißt deshalb auch immer permanente Selbsteinschränkung und Selbstverletzung.

Körperlichkeit und Essverhalten

Ein Bereich, in dem der Widerstreit zwischen Anpassungswunsch und Rebellion bevorzugt ausgetragen wird, ist – neben der Sexualität – das Essverhalten. Dass beide heiklen Thematiken für Frauen eng verknüpft sind, hat Susie Orbach in ihrem Anti-Diät-Buch von 1978 (Originaltitel: Fat is a feminist issue) ausführlich dargelegt.3 Mit dem bewegungsfeministischen Furor der Siebziger stellte sie fest, „daß Eßsucht bei Frauen eine Reaktion auf ihre Stellung in der Gesellschaft ist.“ Und: „Mit der Deformierung ihrer eigenen Körper […] und der Manipulation ihrer Hungergefühle klagen Magersüchtige und Eßsüchtige den Sexismus in der Gesellschaft bitter an.“ Die Formung des eigenen Körpers durch Viel- oder Wenig-Essen begriff sie als individuelle Antwort auf den gesellschaftlichen Imperativ, allzeit begehrenswert und verfügbar zu sein. In Selbst- und Gruppentherapien (als deren theoretischer Überbau das Buch entstand) versuchten sich die Teilnehmerinnen aufzuklären, welche Vorstellungen sie subjektiv mit ihrem Übergewicht verbanden. Es stellte sich heraus, dass der unbewusste Wunsch, sich hinter Fettschichten zu verbergen, in vielen Fällen mit dem Verhältnis der Einzelnen zu ihrer Sexualität zusammenhängt. So kann Dicksein verschiedenste, auch einander entgegen gesetzte Konflikte kompensieren. Es kann Frauen ein Gefühl von Anerkennung und Wichtigkeit für Fähigkeiten vermitteln, die anderenfalls von ihrer sexuellen Attraktivität überschattet wären. Genauso gut kann ein dicker Körper eine Legitimation sein für das Scheitern an gesellschaftlichen Anforderungen. Bestimmte Erwartungen nicht zu erfüllen, wird in diesem Fall wiederum mit dem Mangel an Attraktivität entschuldigt. Auch als Puffer für negative, unartikuliert gebliebene Gefühle wie Frustration, Angst und Wut – die wiederum mit der oktroyierten weiblichen Rolle zusammenhängen – dient das Körperfett. Ebenso kann Untergewicht den Wunsch nach dem Erreichen der Schönheitsnorm als auch den Widerstand gegen sie ausdrücken. Dick- und Dünnsein sind zwei Seiten der gleichen Medaille – ganz zu schweigen von allen, die „Normal-“Gewicht haben und ihren stillen Kampf unsichtbar, aber unter ebenso großem Leidensdruck austragen. Die individuelle Figur ist Ausdruck des individuellen Kampfes mit der Gesellschaft. Egal, in welcher Form: Diese Art, das eigene Selbst in der Gesellschaft zu verorten, ist extrem selbstverletzend.
Orbach, damals auf Pionierpfaden wandelnd, ist mit dieser Analyse auch dreißig Jahre später am Platze: da der Zeitgeist unterdessen nach einem Dicken-Gen fahndet (das wahrscheinlich zwischen Raucher- und Schwulen-Gen zu verorten wäre) und Frauen mit BMI-Berechnungen, Diätratschlägen allerorten, der medizinischen Möglichkeit zur Fettabsaugung und allgemeinem Fitnesswahnsinn belästigt. Das Körpergewicht einer Frau ist nur mehr in seltenen Fällen zufällig und gleichgültig, nicht bewusst bearbeitet und überwacht. Natürlich schlagen sich nicht bei allen Frauen innere Konflikte im Essverhalten nieder – und doch ist es mit Abstand die häufigste Form, wie sich die Erfahrungen weiblicher Sozialisation gegen Individuen kehren, und zwar mit weltweit steigender Tendenz. Es ist ein großes Verdienst von Susie Orbach, im gesellschaftlichen Zusammenhang herausgearbeitet zu haben, welche verheerenden lebensweltlichen Folgen die herrschenden Körperverhältnisse zeitigen.

Auf der Suche nach der goldenen Brücke: Essverhalten und Gesellschaftskritik

Für uns ist offensichtlich, dass eine Menge Frauen ein ziemlich problematisches Verhältnis zur Nahrungsaufnahme haben, wobei die Grenze zwischen einer gewissen Vorsicht gegenüber Süßigkeiten hin zur pathologischen Essstörung fließend ist. Lebensbedrohlich mag diese Problematik nur (aber was heißt nur?) für eine Minderheit sein; für einen Großteil der jungen Frauen ist es hingegen einfach eine Alltagsselbstverständlichkeit, dem eigenen Essverhalten sehr viel Beachtung, Organisationskraft und Energie zu schenken – Kräfte, die in sinnvollere und weniger selbstangreifende Tätigkeiten fließen könnten. Diese Beobachtung deckt sich mit den Gesellschaftsanalysen der Kritischen Theorie: dass ein Zustand unauffälligen Normalseins und äußerlichen Funktionierens in vielen Lebensbereichen bereits ein neurotisch-krankhafter ist. Weibliche Zurückhaltung beim Essen ist eine allgegenwärtige, als normal empfundene Erfahrung. Unter Gesellschaftskritikerinnen sollte dieses Thema folglich ein großes Feld der theoretischen Betrachtung und des politischen Agierens sein. Verwunderlicherweise aber stößt man auf nichts dergleichen. Über diese Thematik scheint ein sonderbares Tabu verhängt zu sein. Stillschweigend wird davon ausgegangen, dass das gegenwärtige Schönheitsideal (zu dem immer und unabdingbar das Merkmal Schlankheit gehört) natürlich scheiße, patriarchal und kritisierenswert ist, dass natürlich eine hedonistische Einstellung zur Körperlichkeit wünschenswert ist. Natürlich reflektieren wir das. – Aber warum dann dieses Schweigen?
Es wäre naiv zu glauben, dass der gesellschaftliche Anspruch an den weiblichen Körper vor dem reflektierten, kritischen Individuum haltmacht. Der Mechanismus, mangelndes Selbstwertgefühl und fehlende Anerkennung über die Disziplinierung des eigenen Körpers auszugleichen, ist auch bei kritischen, linksradikalen Feministinnen anzutreffen. Die Ambition zur Kritik, der Kampf um die eigene Emanzipation und die Sehnsucht nach Autonomie können, ausgetragen über den Körper, den weiblichen Teufelskreis der Selbstkontrolle und -bestrafung auf geradezu unheimliche Weise verstärken. So wird der falsche Schein eines souveränen Umgangs auch mit dem Essen aufgebaut. Magersucht, Bulimie und Esssucht als extreme Äußerungen des Körperunbehagens sind eine weit verbreitete Art, die gesellschaftlichen Erwartungen selbstkritisch gegen sich zu richten.
Es fällt auf, dass die Essensproblematik viel eher in Unterredungen mit Frauen zur Sprache kommt, die mit Feminismus und Gesellschaftskritik nichts am Hut haben und im Freundinnenkreis gern über ihre Wunschträume vom Abnehmen und von Titten und Oberschenkeln à la Hollywood disputieren. Mag diese Form der Auseinandersetzung auch wenig kritisch sein, mag sie mit dem Austausch von Rezepten und Diättipps einhergehen: Wenigstens gibt es einen Raum für die Artikulation individueller Gelüste und individuellen Leids.

Es gilt, die allgegenwärtigen Angriffe auf die innersten Strukturen des Individuums zu kritisieren – nicht, Verhältnisse zu affirmieren, in denen auch ästhetisch bislang vernachlässigte Körperteile wie das Knie einer Schönheitsoperation unterzogen werden können.

Unter Szenefrauen dagegen wird so getan, als gäbe es das Phänomen Essstörungen nicht; als überschritte es die engen Grenzen der Political Correctness (eher: Coolness), die große Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper anzusprechen. An jener Stelle klaffen Gesellschaftskritik und Lebenswelt, die doch miteinander in Wechselbeziehung stehen sollten, abgrundtief auseinander. Der eigene kritische Anspruch erschwert es, den zwanghaften Umgang mit dem Essen im Alltag und in der politischen Diskussion zu thematisieren. Lediglich von sich selber und aus seltenen, meist sehr vertraulichen Gesprächen weiß man Dinge, die traurig stimmen und entsetzen: dass es zahlreiche Genossinnen gibt, die allabendlich im Bett sämtliche tags verzehrten Nahrungsmittelmengen Revue passieren lassen; Genossinnen, die sich auf nüchternen Magen besaufen, weil die fürs Abendbrot zugelassene Energiezufuhr für den Alkoholkonsum verplant ist; Genossinnen, die bestrebt sind, sich über ihre sexuellen Bedürfnisse Klarheit zu verschaffen und sie auszuleben, aber glauben, dazu nur im Stande makelloser Schlankheit berechtigt zu sein; Genossinnen, die natürlich keinen Anstoß nehmen an nicht normgerechten Körpern, aber über jeden dicken Hintern froh sind, der nicht an ihrer eigenen Rückseite sitzt. Unserer Ansicht nach gibt es zu viele Frauen, die ihren Marx und Adorno gelesen haben und deren geheime persönliche Utopie ein kalorienfreier Kommunismus ist; eine Utopie, die sie gewöhnlich für sich behalten. Man ist allein mit diesem Thema Essen, das einen derart großen Raum einnimmt. Der Kampf gegen den entfremdeten Körper, gegen verbotene Genüsse und hartnäckige Bedürfnisse, entzieht sich der gesellschaftskritischen Debatte – er bleibt Teil des Privaten, das nicht politisch ist.

Aus der Praxis wissen wir, dass die Problematik vom Essen, taucht sie doch einmal für kurze Momente aus der Versenkung auf, bei männlichen Gesprächspartnern zumeist auf herzerfrischende Naivität stößt und bei weiblichen auf Gemeinplätze, Schweigen und wenig Solidarität. Jeder und jede weiß theoretisch, dass es so etwas wie Essstörungen gibt, jede und jeder kennt vielleicht ein, zwei Personen, die ersichtlich essgestört sind, und das wird dann jeweils für sehr schlimm befunden: Aber beides gerät, verbal nicht und vielleicht nicht einmal gedanklich, in Kontakt mit der eigenen Lebensrealität.

Magersucht, Bulimie und Esssucht als extreme Äußerungen des Körperunbehagens sind eine weit verbreitete Art, die gesellschaftlichen Erwartungen selbstkritisch gegen sich zu richten.

Eine solche Identifizierung und Solidarität aber, die von dem Bewusstsein herrührte, dass hier ein großes, weit verbreitetes und verschwiegenes Problem besteht, wäre die erste Tugend, damit offener umzugehen und einander zu unterstützen. Im Wissen, dass das Thema Essen für viele, allzu viele nicht unkompliziert ist, fordern wir: Mädchen (und Jungs), redet darüber! Uns geht es weniger um Bekenntniswut oder eine Pathologisierung der allgemeinen Leiden und Merkwürdigkeiten in Bezug auf das Thema Essen. Vielmehr wünschen wir uns eine linke, feministische Öffentlichkeit, eine Auseinandersetzung, in Lautstärke und Durchdringungskraft vergleichbar den Debatten über den Zusammenhang von Weiblichkeit, Patriarchat und Sexualität, wie sie seit den siebziger Jahren hartnäckig geführt werden. Woran liegt es, dass heutzutage jede Emanze über die Problematiken des weiblichen Sexus theoretisiert, aber fast keine über den weiblichen Umgang mit dem Essen – der doch ebenso sehr eine Konsequenz der allgemeinen, patriarchal-sexistischen Kackscheiße ist? Es hängt wohl damit zusammen, dass zur Zeit der zweiten Frauenbewegung, als die Sex-Debatte so überaus erfolgreich etabliert wurde, die Probleme mit Körpernormierung über Essverhalten noch weit weniger virulent waren. (Ähnlich äußert sich Orbach in Bodies: Das heutige Ausmaß der Trends, die sie im Anti-Diät-Buch erstmals beschrieb, habe sie damals nicht geahnt.)
Gesellschaftskritik ist auch dazu da, das eigene Leben schöner, zumindest erträglicher zu machen. Feministische Gesellschaftskritik sollte einem männlichen Wohnzimmer-Antideutschtum nicht darin nacheifern, vor einem lebensweltlich derart relevanten Thema die Augen zu verschließen.
Fat is – verdammt noch mal – a feminist issue!

Die Autorinnen leben in Leipzig, sind eingefleischte Feministinnen – was sich auch in ihren Frisuren niederschlägt – und streiten von Zeit zu Zeit gern bei einem Kaffee über die gegenwärtige Möglichkeit einer kommunistischen Weltrevolution.

  1. Das Anti-Diät-Buch, Hungerstreik. 

  2. Vgl. Outside the box, Nr. 1. 

  3. Am Layout der beiden Orbach’schen Werke lassen sich Anspruch und Ästhetik der feministischen Kritik moderner Körperverhältnisse über die Jahrzehnte hinweg ablesen. Das Anti-Diät-Buch, in Deutschland 1991 im Verlag Frauenoffensive erschienen, besticht durch den rot unterstrichenen, bildzeitungsgroßen Titel, der den Skandal vom schlechten Bestehenden anprangert und Aufruhr verheißt. Auf dem knallpinken Cover von Bodies hingegen räkelt sich, neben englischsprachigem und que(e)r gedrucktem Titel, ein ranker Weibskörper mit abgeklebten Nippeln, die wahrscheinlich zum Nach- und Andersdenken anregen sollen. 

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