Redaktion outside the box

Editorial

„Jung. Mächtig. Schwanger.“ – so betitelte die ZEIT im Frühjahr 2011 einen Artikel über die bisher nicht gerade durch feministische Positionen aufgefallene Familienministerin Kristina Schröder. Und auch wir waren jüngst mächtig schwanger: kollektiv und fast ein ganzes Jahr lang, womit wir uns auf einer Ebene mit Blauwalen bewegen. Ganz so massiv wie ein Blauwaljunges (sieben Meter lang, 2,5 Tonnen schwer) ist unsre Kleine zwar nicht geworden, aber dennoch die fetteste Ausgabe, die wir bisher hatten. Wie ihre großen Geschwister ist auch Nummer 3 ganz einzigartig und erfüllt ihre erschöpften Schöpfer_innen mit Stolz – obwohl oder gerade weil uns die Annäherung an diese Ausgabe nicht leicht gefallen ist. „Gebären“ war für einige von uns vor einem Jahr noch ein Begriff, der vor allem Unbehagen bereitete – ein sperriger Ausdruck, eine Angelegenheit, die nicht in die aktuellen linken, feministischen Debatten zu passen scheint. Auf einem unserer Plena kommt dann auch der symptomatische Versprecher: »Wenn wir also von Begehren, ähm, Gebären reden …«. Symptomatisch deshalb, weil sich darin eine Verschiebung feministischer Schwerpunkte ausdrückt: von der Frauenbewegung der achtziger Jahre, die den weiblichen Körper zu seinem Recht kommen lassen, ihn wieder/anders sicht- und sprechbar machen wollte, hin zu einer vom »linguistic turn« geprägten queerfeministischen Betrachtung von Körper, Geschlecht und Sexualität. Über Begehren zu reden scheint dieser Tage sehr viel einfacher, als etwas so körperliches und offenkundig »naturhaftes« wie »Gebären« zu thematisieren. Weil es sich dabei um eine »Sache« handelt, die obwohl oder weil sie uns tatsächlich alle betrifft, zu banal scheint, um sie zu politisieren? Weil wir uns die in diesem Begriff mitschwingende massive Körperlichkeit, die damit verbundenen Ideologien, mythischen Überhöhungen und Weiblichkeitszumutungen aus guten Gründen gerne vom Leib halten möchten?

Was auch immer dieses Unbehagen auslöst: Wir haben uns entschieden, »Gebären« als Thema eines linken Feminismus, der aus all seinen unterschiedlichen Vorgängerinnen gelernt hat, zu reartikulieren. Wir stellen fest, dass trotz der Politisierung des Privaten durch die Frauenbewegung der siebziger bestimmte Themen auch heute in der Linken unterrepräsentiert sind. Mutterschaft wird vor allem in konservativen oder sogenannten postfeministischen Diskursen und nie ohne Aufforderungscharakter thematisiert. Nach wie vor betrifft uns der Komplex »Gebären« persönlich: Einige von uns sind Mütter, viele von uns werden als (scheinbar) heterosexuelle Frauen einerseits in ihrem Liebes- und Sexleben, andererseits als Objekte von Gesundheits- und Bevölkerungspolitiken mit den Themen Schwangerschaft, Verhütung, Abtreibung und Muttersein konfrontiert.

Wir betrachten »Gebären« als eine Schnittstelle zwischen dem Privaten (oder: als privat geltendem) und dem Politischen, die es aus verschiedenen Perspektiven zu untersuchen gilt. Das Herzstück dieser Ausgabe ist unser Müttergespräch, das übers Heft verteilt auftaucht. Obwohl es durchaus eine Struktur- und Kommentarfunktion erfüllt, spricht es dabei nicht für oder über die Artikel, sondern aus der persönlichen Erfahrung der Mütter unseres outside-Umfeldes. In deren Erleben von Gebären artikuliert sich zwar eine radikale Subjektivität, aus deren Abarbeiten an der gesellschaftlichen Realität sich dann aber über die Einzelne hinausgehende feministische Forderungen ergeben. Das Gespräch verweist somit auf ein Spannungsfeld, das für unsere Ausgabe konstitutiv ist und Gebären zwischen körperlicher Konkretheit und fast schon metaphorischer Abstraktheit der Kopfgeburt gesellschaftlich verortet. Unsere Beiträge sind Erfahrungsberichte, literarische Mutmaßungen, visuelle Übertragungen und politische Einordnungen. Sie sprechen von dem prekären Verhältnis von Natur und Kultur, an dem sich so manche feministische Grundüberzeugungen scheiden und die vom Ereignis Schwangerschaft und Geburt nicht ohne Sträuben an ihre Grenzen getrieben zu werden scheinen. Sie erzählen von der (national-) gesellschaftlichen Vereinnahmung des Mutterbildes und den davon nicht trennbaren Fragen nach Rollenzuweisungen und Elementen einer feministischen Ökonomiekritik. Die verschiedenen Anforderungen an Frauen und Männer in Hinblick auf Elternschaft ist dabei nur eine mögliche Kategorie des Heftes, das sich dem Thema aus verschiedenen Blickwinkeln nähern will, dabei merkt, wo und wie Geschlechterdichotomien wirken, diese aber nicht wiederholen will. Eine fast schon banale Anmerkung ist in diesem Zusammenhang, dass nicht jeder Erfahrungsbericht einer Schwangerschaft in einer Geburt münden muss und dass Gebären trotz der so attraktiven Konkurrenz des Begehrens eine feministische linke Schlüsselkategorie bleibt, die nicht nur Eltern etwas angeht. Sie bleibt, soviel können wir in den letzten Wehen dieser outside konstatieren, auch weiterhin unabgeschlossen. So kann diese Ausgabe deshalb ohne Artikel zu Paragraph 218 oder Reproduktionstechnologien erscheinen, weil wir nicht nur unsere einzelnen Ausgaben in Beziehung zueinander sehen, sondern auch, weil wir hoffen, durch angeregte Leser_innen in der Darstellung und Diskussion um wichtige Positionen, Erfahrungen und Themenbereiche ergänzt zu werden. Vielleicht im nächsten Heft, das so oder so die Maße eines Blauwalbabys erreichen wird. Erst in den letzten Wehen dieser Ausgabe stießen wir außerdem auf den Blog „Fuckermothers – feministische Perspektiven auf Mutterschaft“. Wir verteilen einen „Like!“-Facebookdaumen dafür und hoffen, dass die Diskussionen hier, dort und überall weitergehen!

P.S.: Wer sich fragt, was eigentlich aus Lieschen Müller aus der otb #1 geworden ist, der sei beruhigt: das, was im Internet so über sie verbreitet wird, stimmt nicht. So heißt es dort zum Beispiel: „Die Reichen und Schönen dieser Welt sind schon zu beneiden: nicht nur, dass sie es sich leisten können, viel Geld für scheinbar ewige Jugend auszugeben, sie scheinen auch die Folgen einer Schwangerschaft kaum spüren zu müssen. Eine Angelina Jolie, Gwyneth Paltrow oder Jennifer Lopez ist selbst wenige Wochen nach der Geburt von Zwillingen wieder rank und schlank wie vor der Schwangerschaft, während Lieschen Müller eventuell jahrelang mit dem Abnehmen der Pfunde zu kämpfen hat, die während der Babyzeit gewonnen wurden.“1 Bullshit! Lieschen Müller kämpft auch weiterhin nicht gegen Pfunde, sondern gegen sexistische Zumutungen aller Art!

  1. http://kalorientabelle.tv/abnehmen-tipps/abnehmen-geburt.html 

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