Streit um Geschichte
1) Ein Eintritt von Frauen in die Debatte über die Geschlechterordnung ab dem 14. Jahrhundert wird mit einem Begriff für Streit benannt: die „Querelle des Femmes“. Sie war nicht nur „Streit“ im Sinne eines Kampfes gegen Misogynie, sondern bereits im Sinne einer gesellschaftlichen Tendenz feministischer Theoriebildung (Streitbewegung). Diese „Querelle“ wird heute vor allem mit einer Autorin verbunden: Christine de Pisan, welche dann beschrieben werden könnte als „the first such feminist thinker, and the four-century-long debate that she sparked, known as the querelle des femmes, became the vehicle through which most early feminist thinking evolved.“1 (Joan Kelly)
2) Was ist feministisches Interesse für die Geschichtsschreibung? Wenn etwas bewahrt wird, kann es in den Bedingungen, die dadurch mit hergestellt sind, im Weiteren wahrgenommen werden und schließlich für wahr genommen werden, also geschichtliches Faktum werden; kraft der und gleichzeitig bildend die Verhältnisse, in die das Geschichtliche eingelassen ist, und an welchen die Geschichtsschreibung ihre Deutungen vornimmt. Der Streit um das Geschichtliche ist auch deshalb eine Gesellschaftskritik und zielt aufs Ganze.
Der Streit um das Geschichtliche ist eine Gesellschaftskritik und zielt aufs Ganze.
2.1) Wenn im 19. Jahrhundert im Zuge der Professionalisierung der Geschichtswissenschaft nicht nur Frauen als gesellschaftliche Gruppe von der bewahrenden Geschichtsschreibung ausgeschlossen waren, sondern auch als „weiblich“ klassifizierte Formen und Themen als unprofessionell abgewertet wurden, dann sind Erfahrungen und Erkenntnisse von Frauen sowie „unmännliche“ Perspektiven nicht als volle Wahrheiten bewahrt worden – sondern wurden als Gefahr für die Bedeutung der vermeintlich männlichen Wahrheiten bekämpft. Modi, in denen Frauen sich mit Geschichtsschreibung befassten, gab es weiterhin; sie waren sogar dienlich dazu, aus- und abgegrenzt werden zu können. Denn mit der Alleingültigkeit des so hergestellten Männlichen wurden dabei noch andere Tradierungslinien zu angeblich objektiven, namentlich die bürgerlich-nationale. Bonnie G. Smith schreibt: „Professionalizing historians in the nineteenth century proclaimed the masculinity of their own work in archives where they found documents and honed their skills at digging out truthful facts. They did, in the words of one, ‛manly work’ and they supported the nation.”2
2.2) So wird zum geschichtlichen Faktum, was in dieser Weise bewahrt worden ist, soll heißen: nach gültigen Normen von Menschen, die in einer von Herrschaft durchzogenen Gesellschaft bestimmte Positionen und Normalitäten zu formulieren imstande sind, der Aufbewahrung für wert erklärt.
2.3) In einer solchen Vorstellung von Geschichtsschreibung, die nicht streitende Bewegung ist, muss das Geschichtliche zuletzt als unbearbeitetes Ding erscheinen. Es erscheint als zum Faktum Transformiertes notwendigerweise objektiv. Aufbewahrt (und mitunter wahrnehmbar) ist darin jedoch auch das Moment der Intention oder Aspiration.
3) Weiter: Frauen waren immer wieder damit konfrontiert und das Dilemma ist bekannt: Kämpfen sie sich in den professionalisierten Bereich hinein, um an ihm teilhaben zu können und gesellschaftlich wahrgenommen zu werden? Oder sollen sich feministische Kämpfe darauf konzentrieren, die von solchem Narrativ als „verweiblicht“ abgewerteten Bereiche in ihr Recht zu setzen? Wie kann das gehen in einem Gebilde, das zugleich mitschuldiges Faktum und Deutung ist? Welche emanzipatorischen Ansätze, die nicht in die Linien eingepasst werden können, verschwinden aus dem Gedächtnis?
4) Kein Wunder, dass wir suchen müssen. Wo und wie können wir Splitter finden von solchen Streiten an die wir eigentlich hätten anschließen wollen?
Lena Dorrzn ist Übersetzerin aus dem Tschechischen und Slowakischen. Im Alltag interessiert sie sich fürchterlich für das Wahre, Gute und Schöne. Sie wollte schon immer mal gerne einen kleinen Artikel schreiben, in dem „digging out truthful facts“ unterzubringen ist.