„Von einem Silbermesser zerteilt –“
Über die Schwierigkeiten für Frauen, Objekte zu bilden, und über die Folgen dieser Schwierigkeiten für die Liebe
Einer der ersten Frauen-Songs aus den frühen Siebzigern schloß
mit dem martialischen Refrain: „Frauen, zerreißt eure Ketten /
Schluß mit Objekt-Sein in Betten / Frauen gemeinsam sind
stark.“ Der letzte Vers war eine ältere Losung, die, wenn ich
mich recht erinnere, schon 1969 auf
einer Berliner Demonstration skandiert
wurde: Zum 1. Mai, als das Wort
Feminismus noch selten vorkam, der
Anlaß mit Frauenproblemen nicht
spezifisch zu tun hatte, ein Frauenblock
dennoch ‚für sich‘ schon loszog. Das,
was zwei Jahre später als Neue Frauenbewegung
‚massenhaft‘ hervortrat,
hatte seine vielfältig vereinzelten, aber
prägnanten Vorgeschichten.
Der Text jenes frühen Protestsongs spiegelte ganz gut die
Inhalte der feministischen Empörung: es ging um das Ende des
Objektstatus. Nicht bloß im Bett, auch die Ökonomie kam vor,
das Lied war gründlich. „In der Werbung Puppen“ reimte sich
auf „Leichtlohngruppen“, das „Objekt-Sein in Betten“ aber stand
im Refrain, wurde also wiederholt, mit ihm war vorzüglich
Schluß zu machen.
„We’ve got to get out of this place“, sagten die Frauen mit Blick auf die Herzen, die Betten, die Häuser, aber auch die Worte, die Verse, die Schwüre ihrer Männer.
„Beendigung des Objektstatus“, so läßt sich die Frauenrevolte
ganz allgemein umschreiben (läßt sich ganz allgemein jede
Revolte umschreiben). Die Implikationen sind wichtig. Wer Objekt (von was immer) nicht mehr sein will, entthront ein
Subjekt, das ihn oder sie zu etwas gemacht hat und setzt
sich selbst – nein, nicht unbedingt an dessen Stelle, setzt sich
selbst als Subjekt: zunächst mal einer Veränderung des Status
quo. Wer Objekt nicht mehr sein
will, entzieht sich: der Behandlung,
Degradierung, Manipulation, Definition
etc. eines anderen. Er oder sie
bricht aus einem Verhältnis aus, das,
sagen wir es vorsichtig, von Zeichen
der Unterwerfung, von Malen des
Zwangs in irgendeiner Weise behaftet
war. Wenn der Ausbruch gelingt,
ist das ehemalige Objekt nun ‚frei‘. –
Damit ist noch nicht gesagt, wie es weitergeht. Das Verhältnis
kann sich umkehren (wie bei einem Ringkampf, in dem
Angreifer und Verteidiger Rollen sind, die – bis zur Entscheidung
– beide Beteiligten alternierend spielen), es kann sich auch
einfach nur auflösen. Die Befreite läßt dann ihren Bedränger
von einst stehen und entfernt sich. Schluß.
Klar ist, daß sich alle Verhältnisse von Menschen zu Menschen
und von Menschen zu Dingen in Termini von Subjekt und
Objekt fassen lassen, auch solche, in denen Unterwerfung und
Herrschaft höchstens in sehr sublimierter Weise vorkommen.
Meine formalisierte Beschreibung von der ‚Beendigung des Objektstatus‘ hat also ihre schwache Seite, weil sie auf zu vieles paßt. Sie kann aber einen erhellenden Zweck erfüllen, wenn wir ihre Einfachheit zur Formulierung einer Frage ausnutzen, die vielleicht weiterführt. Und wenn wir im Auge behalten, daß das Objektsein, das hier gemeint ist, ein geschichtlich spezifisches war, jenes den Feminismus mit-
auslösende Objektsein war „in Betten“, die sich seit 1970 auf Ketten reimten. „We’ve got to get out of this place“, sagten
die Frauen mit Blick auf die Herzen, die Betten, die Häuser, aber auch die Worte, die Verse, die Schwüre ihrer Männer. „These places“ waren ihnen zu Käfigen geworden. Sie zogen aus und waren nun ‚frei‘.
Über die Folgen ist schon manches gesagt worden. Die entthronten Subjekte versuchten, ihre Position zu halten,
wo dies mißlang, gaben sie auf und zagten. Die Zeit der Debatten um ‚emanzipationsgeschädigte‘ Männer begann. „Weibliche Utopien – männliche Verluste“ hieß eine headline zum Thema. Das alte Subjekt-Objekt-Verhältnis war zerstört (nicht für die Majorität, aber für die feministische Avantgarde und ihren männlichen Anhang), an seine Stelle trat zunächst nichts als Triumph, Klage, Reflexion, als die emotionale oder gedankliche Bemächtigung der Zerstörung. Aber keine erkennbare neue Konstellation.
Die Frage, die ich jetzt aus der formalisierten Beschreibung der Revolte folgen lassen möchte, lautet: Wie kommen
die Frauen, die ‚befreiten Objekte‘, dazu, selbst Objekte zu bilden? Können sie es? Versuchen sie es? Dürfen sie? Wollen sie? ‚Objekte bilden‘, das ist wieder sehr allgemein gesagt. Aber lassen wir es eine Weile so stehen. Wir haben damit die Chance, uns von den Betten, die sich auf Ketten reimen,
ein wenig noch entfernt zu halten und können uns erst einmal darüber verständigen, welchen Radius diese Frage hat.
‚Objekte bilden‘ – das muß nicht gleich ein Bezwingen
sein. Objekte können ja Widerstand bieten. Es heißt zunächst nur: sich selbst in ein aktives Verhältnis zur Welt setzen. Jedes neugierige Kind macht die Welt zum Objekt seiner Erkenntnis, seiner Experimentierlust, aber es ‚bezwingt‘ an ihr nur ihm geneigte, ihm entgegenkommende Partikel. ‚Objekte bilden‘ hieße dann zugreifen, aneignen. Aber auch: Distanz herzustellen, um zu beobachten, zu betrachten und um die Aufmerksamkeit wieder abzuwenden. Es hieße,
ein Ding, einen Menschen oder eine Vielfalt von Dingen und Menschen für sich setzen, isolieren und wissen wollen,
was es mit ihm, mit ihr auf sich hat. Und irgendwann zum nächsten übergehen. Es hieße: den Gegenstand ergreifen, halten, etwas mit ihm machen, ihn loslassen, ihn ansehen, ihn beurteilen. Ein Prozeß, in dem beide, Subjekt und Objekt, sich verändern können.
Willst du behaupten, daß Frauen nicht begehren können? Ich müßte sagen: Doch, aber … Das weibliche Begehren ist ein gebrochener, zerstückelter, verbogener, entstellter Trieb.
Frauen sind beim Objekte-Bilden in der sozialen Welt von einer historischen Schwäche behindert. Sie haben es in Jahrhunderten kaum erlernt. Wie sollten sie nun, in unserem Emanzipationszeitalter, quasi aus der Hüfte dazu fähig sein! Das Bilden von Objekten, das Er-, Begreifen von Welt, oder noch allgemeiner: Aktivität als Bemächtigung, das ist nicht bloß etwas schlicht Menschliches, das ist eine Potenz, die Ermutigung braucht und Tradition, Ansporn und Geschichte, Vorbild und Nachklang. Frauen fehlen diese Stimuli. Sie müssen die erst aus sich erzeugen. Ausnahmen, also Frauen, die gleichsam aus dem Nichts heraus objektivieren konnten, gibt es sicherlich in einer Fülle, die zu rekonstruieren heute ebenfalls neue Frauensache ist. Für die Mehrheit aber gilt, daß sie sogar die Bedingungen ihrer Emanzipation, also die für jeden eigenen Schritt fundamentale Fähigkeit: das Bilden von Objekten – erst herzustellen haben. Ein wahnsinniges Stück Arbeit.
„Der Feminismus fordert die Frauen auf, sich des Stoffs zu bemächtigen. Er ruft sie auf: Wir müssen uns hermachen über die Geschichte, müssen Philosophie und Naturwissenschaft überfallen,müssen Logik und Dialektik zwischen die Zähne nehmen, die Kunst kapern, die der männliche Geist, vampiristisch ernährt aus dem gefesselten weiblichen Ego, im Verlaufe von Jahrtausenden errichtet hat.“1
So ein feministischer Text aus der Zeit des Aufbruchs vor acht Jahren. Er bringt mich auf ein anderes Wort. Aggressivität, das ist es, was Frauen ‚aus dem Nichts‘ lernen, entwickeln, herzeigen müssen – als Gefühl, als Bewegung, als Tat. Die neue Frauenbewegung hatte es – als Pose und als Ausdrucksqualität, aber auch als polemisches Talent – von Anfang an. Sie hat gleich im Auftakt den richtigen Ton getroffen. Das machte sie so furchterregend – und verschaffte ihr Publizität.
Sicher haben auch Frauen, zu allen Zeiten, ‚ihre‘ Objekte besessen. Die Kinder, die sie trugen, von denen sie gleichwohl besetzt blieben; die Wäsche, die sie wuschen, von der sie zu-
gleich umhüllt und umspannt blieben; die Männer, die sie in ihren Herzen bargen, von denen sie gleichwohl abhängig blieben. Auch Umsorgen ist eine Form von Objektivieren, die kann sogar zur Bemächtigung sich festigen und hat das
auch sicher oft getan. Sie hat aber den Nachteil, daß sie das
Objekt nie weit genug isoliert, heraustrennt aus seinem Kontext und entfernt hält vom Subjekt, um es (vorübergehend oder für immer) auch aufzugeben. Das Zugreifen und das Loslassen-Können machen erst ein Objekte-Bilden im Sinne einer souveränen Aneignung, die sich auch wieder
hergeben kann und will, aus.
Angesichts der ‚historischen Schwäche‘ von Frauen halte
ich es für eine Perfidie, die besseren Fähigkeiten der Männer zum ‚Isolieren von Objekten‘ als biologischen geschlechtsspezifischen Unterschied zu rubrizieren. Ein Buch, in dem solches Zeug steht, mache ich dergestalt zum Objekt, daß
ich es in die Ecke feuere. Es gibt solche Thesen immer noch, auch unter progressiven Autoren, die der Sache der Emanzipation dienen, dabei aber ‚realistisch‘ bleiben wollen.
Schwach im Bilden von Objekten, das sind wir historisch geworden – als Geschlecht. Wir werden es nicht bleiben und damit eine neue Form des Objektivierens, das heißt ja auch: des Herstellens von Verhältnissen und Dingen, in die Welt setzen. Einstweilen schlingert noch vieles in der Konsequenz unserer Schwäche, welche ja erst benennbar, objektivierbar geworden ist als sie selbst, seit wir den Objektstatus aufgegeben haben. Unsere Schwäche und der Anfang von ihrem Ende: das macht die Situation so
schwierig.
Die Bezauberung durch die Liebe lenkt den Blick nicht nur ab, sie konzentriert ihn auch (auf den Mann) und ist in dieser Befähigung die entschiedenste Objektivatorin, die sich denken läßt.
Welche Situation? Lassen wir jetzt von der Formalisierung, von der Verallgemeinerung wieder ab, sie hat uns bis hierher geholfen, alles weitere würde sie in Beliebigkeit einebnen. Die Situation, die wir jetzt befragen, ist die der Geschlechter, ihres Verhältnisses. Wir kehren zurück zu den ‚Betten‘. Vor einigen Jahren, etwa zu der Zeit, in der auch der oben stehende feministische Aufruf zur ‚Bemächtigung‘ von Kunst und Wissenschaft verfaßt wurde, las ich in einer Zeitschrift eine Kritik an jenem frühen Frauensong (oder auch an einem anderen Zusammenhang, in dem die Männer als fühllose Objektivierer im Bett angeklagt wurden):
„Frauen, die sich im Bett als Objekte fühlen, sind selber schuld. Warum schlafen sie mit Männern, die sie nicht begehren.“
Leider ist mir der Name der Autorin entfallen, ich weiß
nur noch: es war eine Autor_in_. Offensichtlich ist, daß diese
Frau denselben Fehler gemacht hat wie der progressive
Biologe, der die Fähigkeit zum Isolieren von Objekten für
genetisch ungleich auf die Geschlechter verteilt ausgab.
Sie setzte sich über die ‚historische Schwäche‘, besser: über
das Historische an unserer Schwäche (zum Objekte-Bilden)
hinweg. Begehren heißt Objektivieren, heißt es sogar
auf radikale Weise. Wie sollen Frauen, belastet von ihrem
drückenden, jahrhundertealten Defizit, von heute auf
morgen dazu imstande sein?
Die kritische Autorin würde mir jetzt wohl antworten:
Willst du behaupten, daß Frauen nicht begehren können?
Ich müßte sagen: Doch, aber … Das weibliche Begehren ist ein
gebrochener,
zerstückelter, verbogener, entstellter Trieb.
Schon während er sein Objekt noch sucht, wird er gehemmt,
umgeleitet, zum Schweigen, zur Flucht genötigt. Nicht nur,
weil Frauen wie gesagt subjektive Schwierigkeiten haben, Objekte
zu bilden, sondern auch, sondern vornehmlich, weil die
potentiellen Objekte dem Ergriffenwerden
einen zähen Widerstand
bieten – bis hin zum schlichtwegigen
Ignorieren des Versuchs, sie
zu ergreifen. Das weibliche Unvermögen,
Objekte zu bilden, ist
nicht nur eine geschichtlich bedingte
Verkümmerung‚ weil Lernmöglichkeiten fehlten, sondern
auch eine stets aktuell, stets erneut zugefügte Verstümmlung‚
weil sich die Objekte, die da zu erfassen wären, gegen
die Isolierung, gegen den Zugriff, die Betrachtung, die
Entlassung wehren. Sie tun dies quasi reflexhaft, und ein
ganzer Überbau von Normen, Moralen, Gebräuchen und –
wenn ich so sagen darf – sozialen Stimmungslagen legitimiert
sie darin. Das sind Prozesse, die ablaufen, ohne daß die Beteiligten wüßten, was sie der (ohnehin reduzierten) Objektivierungsfähigkeit
der Frauen damit antun.
Wenn richtig ist, was ich hier über die Männer sage, folgt
zweierlei:
Erstens: die Männer wollen (oder können) sich nicht
begehren lassen. Zweitens: die Frauen müssen ihre Fähigkeit,
zu begehren, entweder rückbilden oder umlenken. Zum
letzten Punkt zuerst: Mir scheint wirklich, daß beides geschieht. Das weibliche Begehren ‚traut sich nicht‘, es greift zu kurz, und wenn es nicht weit vor- und ausgreifen kann,
wenn es sich nicht aufbäumen darf, kann es sich nicht differenzieren, kann es sich nicht konzentrieren. Es wächst und
wird doch nur am Objekt. Wenn das Objekt sich drückt, wird
der Zugriff zag, die Phantasie bleibt kindisch und an Klischees
gebunden. Was übrig bleibt, kehrt zum Subjekt zurück und
umkreist das eigene Ich. Die sogenannten erotischen Frauen,
die viel mit der Liebe im Sinn haben und hinter denen die
Männer her sind, haben es oft nur gelernt, ihre libidinösen
Energien auf sich selbst zu konzentrieren. Der weibliche
Narzißmus in dieser Gestalt ist eine Zurichtung.
Zum ersten Punkt: Wollen die Männer sich wirklich nicht
begehren lassen? Sie wollen vielleicht schon, aber sie können
selten. Hier haben sie jahrhundertelang nicht gelernt.
Wenn es um das Verhältnis der Geschlechter selbst geht,
kehrt Unterdrückung
stets als Selbstunterdrückung wieder,
fließt die Rache unmittelbar aus der Dialektik, ohne daß
die Unterdrückten die Zähne zu zeigen brauchen. Sich-zum-Objekt-machen-Lassen, das können die Männer auch nicht
so aus der Hüfte, hier haben sie ihre historische Schwäche,
und damit wird vielleicht endlich deutlich, was das für komplizierte, doppelt geschlungene Ketten sind, auf die sich
die Betten seit zehn Jahren reimen.
Die Frauen, die damals sagten ‚Schluß mit…‘, schlugen nicht
vor, daß jetzt das Objekte-_Machen_, das Subjekt-Sein für
die Frauen ‚in Betten‘ zu folgen habe. Sie versuchten nicht,
das Verhältnis umzukehren. Das ist ein wichtiger Punkt.
Die Frauen, viele Frauen lösten vielmehr ihr Verhältnis zu
Männern ganz auf und wandten sich, sofern das Objekte-
Bilden in der Sexualität für sie Thema, Wunsch, Impuls wurde,
anderen Frauen zu. Nur hier, unter gleichen, schien die
historische Schwäche als Schwäche, Liebesobjekte zu bilden,
schrittweise überwindbar. Verena Stephans Erfolgsroman
‚Häutungen‘, auch vor acht Jahren geschrieben, berichtet aus
dieser Zeit. Weibliches Begehren, das sich äußern, ausschweifend
äußern und damit es selbst erst werden wollte, ignorierte
den Mann mit einer programmatischen Selbstverständlichkeit. Als sei er, der als Objekt
versagt hatte und als Objektivierer
zu weit gegangen war, hinfort
als sexuelles Wesen außer Betracht.
Ich rede jetzt nicht von einzelnen
Frauen oder Paaren. Was weiß ich
schon davon. Ich rede von der feministischen (bzw. der sonst interessierten
und ‚progressiven‘) Diskussion,
soweit sie öffentlich wurde. Ansätze zu einem Versuch
weiblichen Objekte-Bildens gab es in der Sexualität außerhalb
des Lesbianismus fast nicht.
Das ist insofern bemerkenswert, als sich in anderen Bereichen,
in Politik, Kunst, Wissenschaft und Publizistik,
ein Nachvollzug, quasi ein ‚Training‘ des Objekte-Bildens
stürmisch
vollzog. Der 1974er Aufruf aus den ‚Schwarzen
Protokollen‘: „Wir müssen uns hermachen…“ konnte
wohl nur deshalb so euphorisch-aggressiv ausfallen, weil
der Zugriff der Weiber auf die ihnen bislang verschlossenen
Domänen längst vorbereitet, längst unabwendbar war.
Stadtbilder machten Frauen mit der Kamera, die unterschlagene
Historie weiblicher Unterdrückung mit der Forschung zum Objekt, Parlamente und Gerichte machten
sie mit Eingaben, die öffentliche Diskussion mit dem Zündstoff ‚Feminismus‘ zum Objekt. Sie beanspruchten für sich die Straße, die Mattscheibe, manche Tribüne. Man mußte ihnen zuhören. Man mußte Gesetze novellieren. Man mußte sie ernst nehmen, mit ihnen rechnen. Überall Zugriff, Aneignung, Umgestaltung. Kleine Triumphe, weltgeschichtlich betrachtet, aber große Schritte raus aus der historischen Schwäche.
Nur im Bett war es offenbar Tat genug, den Objektstatus abgestreift zu haben, da kam es zu keiner Objektivierung, die den Mann gemeint hätte. Da geschah nichts als ein Bruch.
Damit wir uns nicht mißverstehen: Sicherlich gab es weiterhin Liebespaare. Es mag auch sein, daß die jüngere Generation sich schon manches traut, von dem ich nichts ahne, für sie mag ich nicht sprechen. Mir schien, als sei damals (und auch heute noch) lediglich ein ‚Problembewußtsein‘ als eine Dauerstörung, als ein Verhängnis zwischen das Paar ins
Bett mit eingezogen, als gäbe es keine Aussicht auf eine wirkliche Neuerung des Verhältnisses, keine ‚strategische‘ Lösung. Man verzeihe den kriegerischen Ausdruck. Das Schlimme (wenn es denn schlimm sein soll) ist nicht, daß ich ihn hier gebrauche‚ sondern daß er hinpaßt.
Auch in der Sexualität, in den ‚emanzipierten Betten‘, gibt
es letztlich keine andere Lösung für die Frauen als das Wagnis des Objekte-Bildens (und damit für die Männer, die hier ausnahmsweise von den Frauen abhängig sind, keine andere Lösung als das Wagnis des Sich-zum-Objekt-machen-Lassens). Die allgemeine Formulierung der Revolte: Schluß mit dem Objektstatus, Ernst-Machen mit dem Selbst-Objekte-Bilden ist wirklich allgemein, das heißt sie duldet keine Ausnahme. Frauen gemeinsam mögen stark sein in vielerlei Hinsichten‚ ihre historische Schwäche im Verhältnis zu Männern (im Liebesverhältnis oder: in der Sexualität) können sie miteinander nur sehr begrenzt besiegen. Die Verschonung des potentiellen Objekts mit dem Interesse ist,
in der Sexualität, nicht nur eine Kränkung, sondern auch –
in versteckter, verschwiegener Form – Anerkenntnis seiner Überlegenheit, seiner Unerreichbarkeit und damit, noch einmal, Unterwerfung.
Die Befreiung der Sexualität war in den sechziger Jahren noch das Eingeständnis, daß es sie gebe und daß sie ihr Recht fordere. Es war wirklich die Sexualität, die zu befreien war, weniger die Geschlechter in ihr. Jetzt sind die Individuen dran. Sofern sie weiblich sind, müssen sie auch hier den Schritt zum Objekte-Bilden vollziehen, sonst lauern gleich hinterm Bettpfosten die alten Rollen. Die Männer, die ja auch an einer historischen Schwäche leiden, haben es etwas leichter: Ihnen ist der Rückfall in die alten Rollen erschwert, weil die Objekte, die zu bilden sie gewohnt sind, ihren Part verweigern. Da es ja viele Männer gibt, die der Frauenbewegung dienen möchten und nur nicht wissen wie, hier ein Hinweis: Sie könnten sich ihrerseits mit dem Objekte-Bilden (Isolieren, Zugreifen, Betrachten, Entlassen s. o.) etwas zurückhalten und damit den Frauen einen möglichen Rückfall erschweren.
Wer von Sexualität und Befreiung redet, sollte wissen, daß der Atemzug, in dem beide: ‚Sexualität‘ und ‚Befreiung‘ genannt werden können, ein Seufzer ist. Die Sexualität läßt sich vielleicht wirklich befreien – aber die Individuen in ihr? Sie, die Sexualität, ist ja doch auch eine Fessel, und gerade wenn sie für uns frei ist, sind wir in ihr gefangen. Statt ‚befreien‘ sollten wir vielleicht lieber sagen: nach unseren eigenen Wünschen in ihr leben.
Die Sexualität hat die Kraft, uns zu ihrem Objekt zu machen (Frauen und Männer), vermittelt über die/den jeweils anderen, über die Geliebten. Der Begehrende ist Objekt seiner Begierde und so auch seines Objekts: In dieser Form kennen auch Männer den Objektstatus im Bett. Als (vermittelte) Objekte ihrer eigenen Begierde sind sie aber ‚freier‘ im Sinne des ‚nach eigenen Wünschen in der Sexualität Lebens‘ als
die Frauen, die eigenes Begehren nicht entwickeln dürfen und deshalb abhängig bleiben von fremdem Begehren. Da liegt die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern im Zeichen der Venus.
Ich könnte auch so sagen: das Sich-zum-Objekt-machen-Lassen (die alte Frauenrolle) ist, als ‚freiwilliger‘ Part, schwierig, es setzt Mut voraus, denn es ist an ein Risiko gebunden. Wenn ich selbst handle, selbst wähle (also: ein Objekt bilde), habe ich eine größere Gewißheit, daß das, was geschieht, mir frommt, als wenn ich mit mir tun lasse (Objekt bin). Diese offene Stelle, diese zur Verletzung freigegebene Partie, die Achillesferse, das, was wohl Hingabebereitschaft in einem älteren Wörterbuch der Liebe heißt, sie erst macht Lust wirklich.
Wird der ganze Leib zur verwundbaren Ferse (alte Frauenrolle) – dann besiegt die Angst alle Lust, das Objekt wird zum Opfer. Fehlt aber selbst die Ferse, fehlt jede ungeschützte, fremdbestimmbare Zone im Liebesspiel, im Liebesakt (alte Männerrolle), dann besiegt Sicherheit die Lust, dann kann sie, die Lust, ihre überraschend-grenzensprengende Potenz nicht mehr ausgießen. Es gibt, mittlerweile, eine umfangreiche Literatur von Frauen über ihre quälende Bettgenossenschaft mit Männern, die zu gut objektivierten. Eigenartig, daß nicht mehr Männer ihre
Enttäuschung über Nächte mit zu passiven Frauen ausdrücken. Was muß das für eine Lust sein, die sich ausschließlich aus eigenen Projektionen speist.
Da gibt es aber doch ein männliches Zeugnis wider das Nicht-Objekt-Sein-Dürfen: die vergleichsweise reiche Geschichte der männlichen Homosexualität. In der Literatur leuchtet da ein Versdrama‚ ein kleines dekadent-verzücktes Opus: die ‚Salome‘ von Oscar Wilde. Hier haben wir eine perfekte Verkehrung der Rollen: Die Frau ist es, die ihr Objekt mit unbeirrter, ergreifender Emphase bildet, monomanisch wie es sonst nur den Tenören und jugendlichen Helden unterm Fenster der Erwählten ansteht. Und das besungene Objekt – es wehrt sich, mit Schauder. Gewiß, im Stück ist
es seine Mission, seine religiöse Inbrunst, die den Propheten Jochanaan dazu bestimmt, eine Objektivierung durch die lüsterne Prinzessin zurückzuweisen. Wir dürfen das Stück aber ruhig für unsere Belange interpretieren. Sein Autor, homosexuelles enfant terrible im viktorianischen England und im bourgeoisen Paris, wird schon gewußt haben, warum der Stoff ihm gefiel.
Salomes Hymnen auf den Jochanaan zeigen uns alle Elemente der Objektivierung in der Liebe: die Isolierung,
die Zergliederung und – als das Entfernthalten vom Subjekt – die Ästhetisierung. Sie kennt, im Augenblick, da sie sich den
Propheten in den Kopf oder besser: in die Sinne gesetzt
hat, nur noch ihn, sie isoliert ihn und sich selbst in ihrem
Begehren vom Rest der Welt. Und sie zerlegt ihn in Teilobjekte,
in einzelne Reize. Sie besingt sein Haar, seinen Leib,
seinen Mund. „Dein Mund ist wie ein Granatapfel / von einem
Silbermesser zerteilt.“ Wie beantwortet der (zu Höherem,
Besserem, Ernsterem berufene) Mann diese Attacke einer
ausgreifenden, zupackenden, benennenden, fixierenden Begierde?
„Zurück, Tochter Sodoms!“ Das sagt der Mann zu
der Frau, die ihn zu ihrem (Liebes-)Objekt bildet. Der Prophet,
der übrigens noch einen schwachen Versuch macht, Salomes
Seele zu retten, hat seine eigenen religiösen Gründe, das
lüsterne Weib abzuweisen; der weltliche Mann von der Straße
trägt da ein Erbe. Erst wenn er sich wirklich auch zum
Objekt machen läßt mit all den angsterregenden Setzungen,
Isolierungen, Distanzierungen, die das impliziert, erst dann
wird er wirklich hineingezogen in das ‚Sodom‘ der Sinnenlust.
Bislang kam er drumrum: die historische Schwäche der
Frauen hielt Anfechtungen rar. Aber wenn nun die Frauen
anfingen, nach Beendigung ihres Objektstatus, das Verhältnis,
langsam und anteilweise‚ umzukehren?
Ich will nicht länger darüber nachdenken, was dann aus den
Männern würde – ihnen sind meine Überlegungen in
zweiter Linie gewidmet. Es geht um uns, um die Frauen. Wir
können, objektivierend, nur gewinnen. Also hoffe ich, daß
wir es proben, es lernen.
Ich sollte eingestehen, daß mich auch persönliche Gründe
an dieser Hoffnung festhalten lassen. Eine schützende Hand
der Göttin Venus hat mich davor bewahrt, mein Begehren
ganz zurückzunehmen, und so bin ich – trotz aller Verachtung
für seine Prätentionen – doch rettungslos verliebt in das
andere Geschlecht, es erscheint mir mit seiner vorweltlichen
Behaarung, seinen überständigen Posen, seinen kantigen
Konturen, ja selbst seinem ‚emanzipationsgeschädigten‘ Gebrumme
und Gemaule so hinreißend, so begehrenswert.
Eine Verblendung? Gewiß, aber eine, die auch neu sehen
lehrt. Simone de Beauvoir hat gesagt, die Liebe sei eine Falle,
frau solle sich, zum Wohle ihrer Emanzipation, hüten,
hineinzugeraten. Wahrscheinlich hat sie jene Bezauberung
gemeint, die die Geschlechterliebe beginnen läßt und
die bekanntlich die klare Urteilskraft trübt. Wie einwegig
gedacht, wie unähnlich der berühmten Philosophin! Die
Bezauberung durch die Liebe lenkt den Blick nicht nur ab
(u.U.: von der Emanzipation), sie konzentriert ihn auch
(auf den Mann) und ist in dieser Befähigung die entschiedenste
Objektivatorin, die sich denken läßt. Kaum je wieder
bilden wir mit einer solchen Gesammeltheit ein Objekt, als
wenn wir uns der Bezauberung durch die Liebe überlassen.
Es liegt doch in der hymnischen Bewunderung, in der
zärtlichsten Umkreisung immer auch eine strenge Distanz,
gerade weil sie, die Bewunderung, die Umkreisung, etwas
Unangemessenes, etwas den Proportionen des Alltags Fremdes
haben. Wir isolieren, wir ergreifen, wir handhaben
das Objekt, indem wir es begehren, wir tun ihm was an und
sei es zunächst in Gedanken. Wir antizipieren seine Bewegungen,
wir verfolgen es, belauschen es. Wir lassen es los,
probeweise. Wir ergreifen es erneut, von einer anderen Seite
diesmal. Wir verändern es. Warum diese hohe Schule des
Objekte-Bildens den Frauen vorenthalten?
Als Frau, die das Objekte-Bilden im Zustand der Bezauberung
nicht aufgegeben hat, kenne ich die Tücken der Situation.
Tatsächlich neigen wir als Objektivierende dazu, die
Rollen einseitig festzuschreiben. Der Rausch des ‚Objekte-Bildens‘
im Zustande der Bezauberung hat eine eigene Dynamik,
die die Bereitschaft zur Passivität, also zum Objekt-Sein,
hemmen mag. Wenn ich einem Mann sage, sein Mund
sei wie ein Granatapfel, von einem Silbermesser zerteilt,
so erwarte ich, daß dieser Mund schweigt. Daß er sich leicht
öffne, aber nicht, um mir eine Schmeichelei zu sagen, die
eh kaum an das Bild vom Granatapfel und dem Silbermesser
heranreichte. Gewiß habe ich zu dieser Erwartung heute
ein historisches Recht – aber in der Zukunft, wenn sie denn
die Frauen das Objekte-Bilden und die Männer das Objekte-Sein lehren sollte, hätte ich es nicht mehr. Diese Zukunft
müßte um die Nähe wissen, die die Objektivierung zur
Herrschaft hat und müßte eine Balance jenseits von Herrschaft
durch Verflüssigung der Positionen herstellen. Lust
setzte dann Objektivierung ebenso voraus wie Objekt-Sein, also Passivität.
Stellen wir uns vor: die Frauen zücken ihr Silbermesser,
vorsichtig und unnachsichtig, und öffnen mit ihm die
Münder der Männer. Ein zu aggressives Bild? Nein, längst
fällig unsererseits. Ein utopisches Bild? Vielleicht nicht. Was
das denn hier sei, das Silbermesser? Blicke, Worte, Zunge?
Auch. Die Kunst der Objektivierung mitten in der Bezauberung
durch die Liebe.
-
aus: Schwarze Protokolle, Heft 124, Berlin 1974, S. 20. ↩