Sabrina Zachanassian

Das Glück der Geburt

Erfahrungen mit der Ideologie der natürlichen Geburt

Das Glück der Geburt – so übertitelte neulich eine Leipziger Lokalzeitung einen Überblick über den Service Leipziger Geburtskliniken. Vom Glück der Geburt und dem schönsten Tag ihres Lebens sprechen auch viele Mütter. Und selbst Männer überschreiten mal wieder ihre Kompetenzen und beteuern werdenden Müttern, dass mit dem ersten Schrei des Kindes alle Schmerzen vergessen seien. Ärzte (weibliche und männliche), Familienmitglieder (weibliche und männliche) und Hebammen raten von einem Wunschkaiserschnitt ab und argumentieren wahlweise mit dem Erlebnis einer natürlichen Geburt oder den Risiken für Mutter und Kind. Im harmlosesten Fall hat die werdende Mutter das Gefühl, etwas zu verpassen, würde sie nicht auf natürlichem Wege gebären. Im schlimmsten Fall fühlt sie sich als Versagerin, als Gescheiterte an einer Aufgabe, auf die sie doch ihr ganzes Leben vorbereitet wurde, und sie plagen Gewissensbisse, für ihr Kind nicht alle Schmerzen ertragen zu haben. Kurz: Ihre Vollblutmutterschaft steht auf dem Spiel.

Aus dem Geburtsbericht:
6:00 „Frau meldet sich mit beginnender Wehentätigkeit im Kreißsaal“

Während der Kaiserschnitt sich in Ländern wie China oder Mexico nach wie vor größter Beliebtheit erfreut und dort zum Standard gehört, ist er in Deutschland in Verruf geraten. Nachdem über Jahrzehnte die Kaiserschnittrate in Deutschland wie in der übrigen westlichen Welt stetig anstieg, ist nun eine Rückbesinnung auf die natürliche Geburt zu beobachten, und Krankenhäuser werben mit einer Sectiorate von unter 30 Prozent. Dieser Bericht ist kein Plädoyer für den Kaiserschnitt und gegen die natürliche Geburt. Werden positive Aspekte des Kaiserschnitts hervorgehoben und auf mögliche Risiken einer natürlichen Geburt hingewiesen, so geschieht dies, weil man darüber erstaunlich wenig erfährt in den Vorbereitungskursen. Und es dient dazu anzudeuten, dass der Kaiserschnitt eine echte Option sein kann, ohne damit gänzlich verantwortungslos und feige zu agieren. Genau dieses Gefühl jedoch bekommt man heute als Schwangere in Deutschland vermittelt. So war der Kaiserschnitt in meinen Geburtsvorbereitungsmaßnahmen ausschließlich als Notoption Thema – „wenn alles andere misslungen ist“. Ihm haftet etwas diffus Geächtetes an, so dass er für mich in der Vorbereitung auf die Geburt als Option gar nicht präsent war. Gewundert hat es mich schon, dass sich die Gesichter jedes Mal in sorgenvolle Falten legten, wenn vom Kaiserschnitt die Rede war. Auf meine Frage, was denn so verhängnisvoll an einem derartigen operativen Eingriff wäre, solange es sich nicht um eine Not-OP handele, blieben die Antworten weiterhin vage: „Es ist halt ‘ne OP.“ Die Überzeugung, die natürliche Geburt sei der sicherere, schönere und gesündere Weg zu gebären, scheint derart selbstverständlich, dass es keiner weiteren Erklärung bedarf. Erst recht nichts erfährt man von den Vorteilen eines Kaiserschnitts, der im Vergleich zur natürlichen Geburt beispielsweise vor Beckenbodenschäden schützen kann. Auf die Frage einer Freundin, wie sich Hebammen und ÄrztInnen verhielten, sollte sie unter der Geburt ohne Indikation einen Kaiserschnitt verlangen, wird im Vorgespräch milde lächelnd geantwortet, dass man diesem Wunsch selbstverständlich nicht stattgäbe. Dann würden ja achtzig Prozent der Frauen ihre Kinder durch einen Kaiserschnitt zur Welt bringen! Und das kann ja schließlich niemand wollen! … Nun ja, die Frau schon…aber was zählt schon der Wunsch einer Frau. Ihr Körper gehört ihr doch sowieso schon längst nicht mehr allein. Das sollte sie über die Jahre doch nun wirklich gelernt haben! Die Frauen sind unter der Geburt sowieso derart unzurechnungsfähig, dass es besser ist, wenn andere für sie entscheiden. Und dabei gilt: Bloß kein falsches Mitleid mit der Frau! Du wirst es uns später noch danken, Honey.

9:00 „Wehentätigkeit nachlassend“
9:55 „Geburtseinleitung“

„Birth is natural – such is earthquake“1

Die natürliche Geburt erlebt eine Renaissance als etwas, was der weiblichen Bestimmung entspräche und damit automatisch das Beste für alle Beteiligten sei. Mit einer negativen Einstellung zur vaginalen Geburt sei man wohl der Propaganda der Krankenhausindustrie auf den Leim gegangen, die ja schließlich ein Heidengeld mit Kaiserschnitten verdiene und all die BonzenärztInnen zu schnell zum Messer greifen ließe. Und außerdem ist da wohl was mit der vorbereitenden Geburtsaffirmation schiefgelaufen und frau verkrampft sich, statt sich zu öffnen wie eine Blume: „Ich öffne mich wie eine Blume… Ich öffne mich wie eine Blume…“ Sogar die Verheißung einer schmerzfreien Geburt wabert durchs Netz.2 Und so saß auch ich in Yogakursen, in denen JAAAAA getönt wurde zur Geburt. Ein Neiiiiiin zu Geburtsschmerz, zu möglichem Damm- und Scheidenriss und geschwächtem Beckenboden, zu Fisteln und lebenslanger Stuhlinkontinenz, zu möglichen Verletzungen an Kopf und Schultern beim Kind erschallt in keinem Yogaraum.

Die Überzeugung, die natürliche Geburt sei der sicherere, schönere und gesündere Weg zu gebären, scheint derart selbstverständlich, dass es keiner weiteren Erklärung bedarf.

Wie auch: Schwangere, und so auch ich, wissen häufig zu wenig von den Risiken einer natürlichen Geburt. Das ist nämlich kaum Thema im Geburtsvorbereitungskurs. Dahinter steckt häufig die paternalistische und entmündigende Intention, den Frauen die Risiken vorzuenthalten, damit sie keine Angst vor der Geburt bekämen. Bei jeder OP ist eine umfassende Aufklärung über mögliche Risiken selbstverständlich. Beim Geburtsvorgang jedoch möchte man den Frauen die Entscheidung lieber abnehmen.

14:45 „Frau wieder im Kreißsaal, veratmet die Wehen“

Über mögliche negative Folgen eines Kaiserschnitts hingegen wird man aufgeklärt – wenn auch in meinem Fall erst im Kreissaal, wenn der Eingriff unabwendbar erscheint und man vor lauter Schmerz und Todessehnsucht nur noch einen verwackelten Strich unter die Einverständniserklärung setzen kann. In zahlreichen Artikeln und Dokus wird auf die Risiken eines Kaiserschnitts eingegangen. Da ist von einer höheren Veranlagung des Kindes zu Asthma, Diabetes und Autismus die Rede. Dabei berücksichtigen die Studien, die dies belegen, nicht, dass bei Frauen häufig aufgrund bestehender Vorekrankungen ein Kaiserschnitt durchgeführt wird, die diese Veranlagungen dann an ihre Kinder weitergeben – ganz unabhängig vom Geburtsweg. Kinder, die auf natürlichem Weg zur Welt kommen, haben durchschnittlich häufig bessere gesundheitliche Voraussetzungen und sind deshalb weniger anfällig für Asthma und Diabetes. Auch wird Frauen, die sich für einen Kaiserschnitt entscheiden oder bei denen ein solcher Eingriff notwendig ist, mit dem Wundersaft Vaginalsekret, das sie ihren Kindern vorenthalten würden, ein schlechtes Gewissen gemacht. Dabei ist der Nutzen der Scheidenflora für das Kind bisher eine reine Hypothese, und über die Gefahren, wie die Weitergabe von Herpesviren, Chlamydien und Streptokokken, schweigt man sich wieder einmal aus.3

19:10 „Regelmäßige, kräftige Wehen, die die Frau gut veratmet, Frau die Möglichkeit zur Schmerzregulierung aufgezeigt, entscheidet sich für eine PDA“

Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht verwunderlich, wenn Frauen weinend von ihrem Kaiserschnitt berichten, den sie auf keinen Fall wollten. Ohne diesen Frauen ihre Wahrnehmung eines fremdbestimmten, gewaltvollen Eingriffs absprechen zu wollen, spielt doch in der Einschätzung dieses Erlebnisses sicher auch die Ideologie eine Rolle, die den Frauen vermittelt, ihre Kinder nicht selbst und auf die einzig wahre, weiblich-masochistische Weise auf die Welt gebracht zu haben. Zu einem weiblichen Selbstverständnis gehören offenbar auch körperliche Schmerzen. Und so lassen sich bereits einige Frauen, die eine künstliche Befruchtung über sich ergehen lassen mussten, nach dem schmerzhaften Eingriff keine lindernden Medikamente geben, da diese Schmerzen offenbar zu ihrem Verständnis von Mutterschaft bereits dazugehören. Auch unter der Geburt lehnen einige Frauen aus ähnlichen Gründen Schmerzmittel ab. Was ist das für eine Welt, in der Schmerzen zu haben offenbar Bestandteil einer weiblichen Identität zu sein scheint? Statt eine möglichst schmerzfreie Geburt anzustreben – egal ob dafür der Kaiserschnitt oder die natürliche Geburt als Mittel der Wahl erscheint – fühlen sich Frauen als Versagerinnen und unzulängliche Mütter, wenn sie das Kind nicht aus eigenen Stücken herausgepresst haben oder doch „schwach“ wurden und sich ein Schmerzmittel geben ließen. Um selbstbestimmt entscheiden zu können, auf welche Weise ihre Kinder das Licht der Welt erblicken sollen, ist eine unvoreingenommene Aufklärung der Frauen nötig, die weder über die Risiken und Vorteile eines Kaiserschnitts noch die einer natürlichen Geburt schweigt. Frau hat jedoch zurzeit in Deutschland nicht das Gefühl, sich für einen Kaiserschnitt entscheiden zu können, ohne dass nicht nahezu alle im Umfeld, ob mit oder ohne Sachverstand, sich bemüßigt fühlen, ihre Bedenken zu äußern. Irgendwie riecht diese Entscheidung nach Egoismus und Feigheit. Aber dein Körper gehört dir nun doch nicht mehr allein … du kannst jetzt nicht mehr nur an dich denken … du musst jetzt für euch beide das Beste wollen. Eigentlich heißt das: Deine Bedürfnisse sind für’n Arsch. Eine gute Mutter hackt sich lieber die Hand ab, als ihr Kind einem (vermeintlichen) Risiko auszusetzen.

22:45 „Frau fängt wieder an zu ‚tönen‘, wirkt sehr angespannt, zittert, gibt Druckgefühl nach unten an, Sono → hinterer, hoher Geradstand, Befund erläutert“

Wieder einmal spielt es keine Rolle, was Frauen wollen, egal ob sie sich eine natürliche Geburt oder einen Kaiserschnitt wünschen. Wichtig ist, was die Gesellschaft will – und die meint: Ein Kaiserschnitt liegt nicht im Interesse von Schwangeren, und schon aus moralischen Gründen sei die vaginale Geburt einer Sectio vorzuziehen. Diese Überzeugung teilt mittlerweile offenbar auch ein Großteil des medizinischen Personals: Alles zu tun, um die Patientinnen und ihre Kinder vor einem Kaiserschnitt zu bewahren, wiegt schwerer, als den gellenden Schmerzensschreien der Gebärenden und ihrem Wunsch nach einem Kaiserschnitt nachzugeben. Auch wenn Saugglocke und Geburtszange zum Einsatz kommen müssen und der Geburtskanal verletzt wird und alles reißt, von dem man vorher gar nicht wusste, dass man das hat: Die Körperverletzung – in anderen Kontexten ein Straftatbestand – wird bewusst in Kauf genommen. Die natürliche Geburt ist immer unhinterfragt die erste Wahl.

23:30 „Patientin wünscht Sectio, Gespräch über Optimierung Schmerztherapie + Versuch, Kind aus dem kleinen Becken zu schieben“

Viele Frauen, die die Geburt als gewaltvoll erlebt haben, schildern ein Zuviel an Intervention.4 Bei mir hingegen agierte das Krankenhauspersonal zu verhalten. Was uns eint, ist das Gefühl der Fremdbestimmung, das Gefühl, nichts zu sagen zu haben und nicht wenigstens miteintscheiden zu dürfen, was da mit dem eigenen Körper passiert. Viele Stunden saß die Hebamme neben mir und lobte mich während heftigster Wehen. Erst auf meine Aufforderung hin, dass nun endlich etwas passieren müsse, wurde nachgeschaut und festgestellt, dass mein Kind mittlerweile mit dem Gesicht zum Geburtskanal liege und es sich so keinen Zentimeter fortbewegen könne. „So sind sie eben, die Jungs“, ist die Hebamme noch zu Scherzen aufgelegt, „wollen nicht raus und packen die Hörner aus.“ Dennoch wurde meinem Wunsch nach einem Kaiserschnitt zunächst nicht stattgegeben. Einen Grund, warum der Kaiserschnitt in meinem Fall, bei eigentlich eindeutiger Indikation, vermieden werden sollte, erfuhr ich nie – weder im Kreißsaal noch danach.

0:25 „Patientin weht kräftig, gibt Schmerzen auf Symphyse an, Sono: Dorsoposteriore Schädellage Indikation für sekundäre Sectio bei hinterem hohen Geradstand“

Gleichgültig, welche Mode in den Kreißsälen gerade boomt: Das Ergebnis ist viel zu häufig, dass die Wünsche der Gebärenden übergangen werden. Allzu oft verlassen Frauen den Kreißsaal traumatisiert – ob sie nun ein zu viel oder zu wenig an Intervention erfuhren – zurück bleibt das Gefühl des Ausgeliefertseins. Und so war es auch mir – bis zur Arbeit an diesem Artikel – nicht möglich, in den Geburtsbericht zu schauen und mich irgendwie mit diesen Erlebnissen zu konfrontieren. Und nein, meine Herren, mit dem ersten Schrei sind eben nicht alle Schmerzen und traumatischen Erlebnisse vergessen! Ging ich vor der Geburt ohne Bedenken ins Krankenhaus, sehe ich nun einer möglichen weiteren Entbindung angstvoll entgegen. Ich überlege, einen Wunschkaiserschnitt in Erwägung zu ziehen. Aber es gehört eine enorme Portion Mut dazu, allen vorwurfsvollen Blicken zum Trotz auf den operativen Eingriff zu bestehen. Der Kaiserschnitt gilt als letztes Mittel für Frauen, die es eben nicht selbst schaffen. Wieviel Selbstbewusstsein bedarf es da, sich von vornherein einen Kaiserschnitt zu wünschen und als Memme zu gelten. Ich bin jedenfalls froh, an allen Stellen, an denen ich nach dem Grund für die Sectio gefragt werde, „Gesichtslage“ angeben und somit eine Rechtfertigung für mein vermeintliches Versagen mitliefern zu können. Der mitleidige Blick ist mir in jedem Fall gewiss. Kein Raum bleibt zu sagen, dass der Eingriff die Erlösung für mich und wohl auch für mein Kind war. Dass ich mit keinen Entzündungen und Rissen zu kämpfen hatte. Dass ich die Schmerzen zuvor als traumatisch erlebte, die man mir hätte ersparen können und gegen die die Schmerzen nach der OP ein Klacks waren. Aber solche Erfahrungsberichte findet man kaum im Netz. In den zahlreichen Geburtsdokus kommen nahezu ausschließlich Frauen zu Wort, die ihren Kaiserschnitt als Katastrophe erlebten und das Erlebnis in einen diffusen Zusammenhang mit ihren vermeintlich unzureichenden mütterlichen Gefühlen und Kompetenzen bringen. So wenig ein Kaiserschnitt die Geburt zu einem Spaziergang macht, so wenig ist selbst eine komplikationslose natürliche Geburt ein Garant für eine Geburtserfahrung voller Glück. Natur kann eben auch ganz schön scheiße sein!

1:15 „Sectiobeginn“

„Aber Sie haben wenigstens alles versucht“, ist mir der Trost der Hebammen nach dem Eingriff gewiss. „Ich wollte aber gar nicht alles versuchen!“, schrie es in mir. Aber ich blieb stumm. Auch ich war wohl beeindruckt von der Ideologie der natürlichen Geburt … Ist es ein Zufall, dass der Kaiserschnitt in der westlichen Welt ausgerechnet zu einer Zeit in Verruf gerät, in der durch die optimale Versorgung der Embryos im Mutterleib Vier-Kilo-Babys keine Seltenheit mehr sind? Patriarchat, ick hör dir trapsen.

1:19 „Geburt eines Knaben aus hinterem hohen Geradstand“

Na, wenigstens hab ich ihnen noch in den OP gekotzt!

Sabrina Zachanassian studierte Erziehungswissenschaften und Gender Studies in Berlin und ist Mitarbeiterin der feministischen Bibliothek MONAliesA in Leipzig. Sie vertritt in Publikationen und Vorträgen einen materialistischen Feminismus und setzt sich kritisch mit queerfeministischen Ansätzen auseinander. Ihre Forschungsthemen umfassen u.a. die Funktionsweise des Patriarchats sowie die Entstehung von Geschlechtsidentitäten.

  1. http://cesareandebate.blogspot.de 

  2. https://www.rund-und-gluecklich.de 

  3. https://geburtsrisiken.de/?s=morcambe 

  4. http://www.gerechte-geburt.de/home/roses-revolution 

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