Daria Kinga Majewski

Nie ganz sie selbst

trans und cis Weiblichkeit als zu betrauernde Erfahrungskategorien – Ein Kommentar

Unter dem Titel Die Freundin erschien in den 1920er-Jahren regelmäßig eine Zeitschrift für frauenliebende Frauen. Darin befand sich ein eigener Teil für Transvestiten, in dem man rege Diskussionen verfolgen kann.1 Deutlich zeichnen sich schwere Konflikte zwischen homo- und heterosexuellen, männlichen und weiblichen Transvestiten2 und solchen, die den Kleiderwechsel der Sexarbeit wegen vollzogen, ab. Aber auch (cis) Frauen3 melden sich zu Wort und diskutieren, was einen Menschen jenseits der Genitalien zu Mann oder Frau macht. Gestritten wurde darum, wer ein richtiger Transvestit und damit „ein Frauenzimmer in Mannesgestalt“4 sei und wer nicht. Gerade Hausarbeit wurde sowohl von (cis) Frauen als auch von Transvestiten als Identitätsmarker gesetzt. „Nicht nur die Rechte einer Frau darf der Transvestit sich nehmen, indem er sich putzt und den ganzen Tag vor dem Spiegel verbringt, sondern auch die Pflichten eines Weibes muss er sich zu eigen machen, wenn er anerkannt und ernstgenommen werden will.“5 Es scheint, als hätte jede Diskutantin schlicht ihr eigenes Sein (heute würde man von Identität sprechen) zu verteidigen versucht. Kaum überwindbar waren die Differenzen, so dass die Gründung eines Bundes der Transvestiten am Ende der 1920er wie auch zu Beginn der 1930er Jahre scheiterte. In den 1970ern artikulierten Feministinnen wie Janice Raymond, dass trans Frauen entweder Frauenräume infiltrierende Vergewaltiger oder verwirrte Opfer einer frauenfeindlichen medizinischen Entwicklung seien.6 Weitere 40 Jahre später scheinen sich die Konflikte zu wiederholen. Im Jungle World-Artikel „Die Reform würde die biologische Fiktion von Frauen mit Penis erschaffen“ werden trans Frauen erst dann als Frauen anerkannt, wenn durch Gutachter eine soziopathische Störung ausgeschlossen wird und wenn trans Frauen auch wirklich alle Operationen vornehmen: Folgt man der Logik des Artikels, wird eine Frau entweder durch ihre Vulva und einen gesunden Geisteszustand definiert – und alle anderen Frauen wären gewaltbereite Männer, vor denen Frauen sich dringend schützen müssten. Oder aber man geht von einem Naturrecht aus, mit dem cis Frauen ausgestattet sind und trans Frauen nur auf Gnaden die Grenze zum Frausein überschreiten dürften.7 So oder so eine fragwürdige Herangehensweise. Auf der anderen Seite wollen einige trans Aktivist*innen die Darstellung von Vulven und das Thematisieren von Menstruation und Schwangerschaft als Teil weiblicher Erfahrung verbieten. Die Welt hat sich verändert, aber die Kämpfe um die eigene Identität und das (richtige vs.) falsche Frausein scheinen die gleichen geblieben zu sein. Es stellt sich also die Frage, inwieweit die Erfahrungen von cis und trans Weiblichkeit diesen Konflikt aufgrund ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit automatisch hervorbringen müssen. Das Begriffspaar trans und cis, das immer mehr in Verruf gerät, scheint mir wichtig, um den Konflikt, der sich auf vielen Ebenen vollzieht, fassen zu können und Subjektpositionen zu bestimmen: Die Begriffe stellen den Versuch dar, die differente Erfahrung auszudrücken, sich entlang der eigenen Biologie geschlechtlich zu identifizieren, oder entgegen der eigenen Biologie (wie sie die gesellschaftliche Norm definiert). Dabei zeigen die Begriffe trans und cis, dass der Prozess der geschlechtlichen Identifikation nicht lediglich ein transgeschlechtlicher, sondern ebenso ein cisgeschlechtlicher Prozess ist. Im Falle der cisgeschlechtlichen Erfahrung ermöglicht jedoch die Norm einen unbewussten Prozess, wohingegen die transgeschlechtliche Erfahrung einen bewussten Prozess voraussetzt, da mit ihm ein Normbruch verbunden ist. Die verhandelten Positionen politischer Streitbewegungen sind also vor allem Erfahrungskategorien, die jedoch als solche nicht artikuliert, sondern in Ideologien überführt werden.

Die Welt hat sich verändert, aber die Kämpfe um die eigene Identität und das (richtige vs.) falsche Frausein scheinen die gleichen geblieben zu sein.

Julia Serano formuliert den Gedanken des gelebten Geschlechts, der die Lebensrealität von Frauen als Frauen anerkennt, ohne die Differenzen zwischen den einzelnen Subjektpositionen leugnen zu müssen. Damit entsteht eine synchrone Betrachtungsweise, die den jeweiligen Werdegang hin zum jetzigen Sein offen lässt, ohne sich jedoch an einer vermeintlich eindeutigen geschlechtlichen Vergangenheit festzubeißen. Der Idee des gelebten Geschlechts wird oft entgegengehalten, dass man trans Frauen aufgrund ihrer Körperlichkeit ansehe, dass sie keine „echten Frauen“ seien. Körperliche Merkmale, die als nicht-weiblich gelten, werden sogar gegen sie verwendet, um sie beispielsweise aus Frauenräumen auszuschließen und als potenzielle Täter zu stigmatisieren. Ignoriert wird dabei, dass jede Frau – die eine mehr, die andere weniger – Brüche in ihrer Weiblichkeit aufweist, unabhängig davon, ob sie cis, trans oder was auch immer ist. Die Bedeutung der Brüche wird erst im geglaubten Wissen um die Cis- oder Transgeschlechtlichkeit des Gegenübers generiert. Es geht also im Kern nicht um die Frage, ob eine Frau auch groß, stark und kleinbrüstig sein kann, sondern letztlich um die Frage der Zurichtung. Bini Adamczak spricht in ihrem Essay Kritik der polysexuellen Ökonomie von der Zeit, die im Badezimmer aufgebracht werden muss, um

a) sich der geschlechtsspezifischen Erwartungen entsprechend herzurichten
b) als begehrenswert zu erscheinen.

Begehrenswert meint meines Erachtens nicht nur schön, sondern auch, dass eine Person eindeutig in das binäre Geschlechterverhältnis eingeordnet werden kann, in dessen Kern das reproduktive Verhältnis steht. Leslie Feinberg verhandelt dieses Verhältnis in dem Buch Transgender Warriors und stellt mit Engels8 fest, dass die Unterdrückung von Geschlechtstransgress einhergeht mit der Beanspruchung cis weiblicher Körper durch cis Männer, also mit dem Patriarchat beginnt. An Feinbergs modellhaftem Versuch, Transunterdrückung nachzuzeichnen, zeigt sich, dass es in der heutigen Auseinandersetzung zwischen cis und trans Frauen eben primär um die jeweiligen Kränkungen geht, die entlang der Achse der Fähigkeit oder Unfähigkeit zu gebären verhandelt werden.9 Als gute Frau gilt die Frau, die

a) schwanger werden kann
b) dies auch tut (und die Rolle der Mutter vorbildlich erfüllt).

Alle anderen haben entweder versagt oder gelten als „gefallene Frauen“. Es ist also kein Zufall, dass das, was wir heute als trans Weiblichkeiten bezeichnen, in verschiedenen Kulturen mit dem Stigma der Prostitution behaftet ist. Menschen, die Weiblichkeit verkörpern, aber nicht schwanger werden können, gilt es nicht zu besitzen, sondern als lustbringend und als Abjekt der Geschlechterbinarität abzudrängen. Um dieses Verhältnis besser begreifen und in kapitalistische Verhältnisse einordnen zu können, lohnt sich ein Blick über den eigenen kulturellen Tellerrand hinaus: In Mexiko gibt es Muxe, auf Samoa Fa’afafine, in Indien Hijras und in Thailand Kathoey – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Sie alle stellen Subjektpositionen dar, die im weitesten Sinne mit dem verglichen werden können, was unter dem Begriff trans Weiblichkeiten subsumiert wird. Interessant ist, dass sie, spezifisch für ihren jeweiligen Kulturraum, nicht erst in der Postmoderne ins Licht rückende Subjekte sind, die jetzt nach einer Gesellschaftsposition verlangen, sondern über Jahrhunderte hinweg gewachsene Positionen innerhalb des Geschlechterverhältnisses darstellen. In postkolonialen und kapitalistischen Gesellschaften fallen sie rigoros in bestimmte Kategorien der gesellschaftlichen Arbeitsteilung: Da sie nicht heiraten und keine eigene Familie gründen (dürfen), pflegen sie die alternden Eltern, machen den Haushalt und funktionieren in der Dorfgemeinschaft als Sexpertinnen, die Männer ehetauglich machen, oder sind Sexarbeiterinnen. Hier zeigt sich ein erstes Moment, das auf ein politisches Subjekt Frau verweist: Das Verkörpern von Weiblichkeit drängt Menschen in die Reproduktionsarbeit ab, aber je nachdem, wie die Frage nach der Gebärfähigkeit beantwortet wird, in Teilbereiche dieser: Mutter oder Hure. Natürlich fallen auch unzählige cis Frauen in die Kategorie der Hure, aber erst als „gefallene Frauen“; trans Frauen gelten per se als „Gefallene”, also als Verworfene (Abjekte) der Geschlechterbinarität. In diesen harten kulturellen Bildern und den politökonomischen Bedingungen zeigt sich, dass cis Frauen niemals etwas anderes sein können als Frauen (und damit nie vollständige Subjekte) und trans Frauen wiederum niemals ganz Frauen (und damit Teil der binären Gesellschaft). Dennoch unterliegen beide Subjektpositionen denselben patriarchalen Voraussetzungen: Frausein im Patriarchat geht eben stets mit Entwertung und Unterdrückung – und damit der Unmöglichkeit, jemals ganz man selbst zu sein – einher. Darin sind die geschlechts- und erfahrungsspezifischen Kränkungen zu suchen. Aber gerade das Moment der Artikulation von geschlechtsspezifischen Kränkungen ist ein großes Tabu in vielen emanzipatorischen Kontexten. Denn für cis Frauen gilt es zu zeigen, dass Frausein super und dem Mannsein mindestens gleichgestellt ist. Oder, dass Frausein gar keine Rolle spielt. Und für trans Frauen wiederum gilt das stete Selbstempowerment – „trans is beautiful“ – und die Notwendigkeit, die eigene Transitionsgeschichte als Erfolgs- und Befreiungserlebnis zu verteidigen.

Zwischen diesen Positionen zeigt sich der notwendige Konflikt und die Abwehr, die damit einhergeht: etwa wenn cis Frauen an trans Frauen abwehren, dass diese das Frausein „freiwillig“ und „lustvoll“, also das Gleiche als Gleiche leben könnten, was in der cis weiblichen Position als Einschränkung und auch Kränkung erfahren wird; wenn trans Frauen an cis Frauen abwehren, dass diese die „natürlicheren“ Frauen seien. Angst macht an der anderen also der Widerspruch, zugleich Frau zu sein und auch sein zu wollen, unter dem Frausein in der patriarchalen Geschlechterordnung jedoch zu leiden und gekränkt zu werden, und dass diese Kränkungen entlang der Achse von Cis- und Transgeschlechtlichkeit unterschiedlich erlebt werden. Einer von vielen zu betrauernden Aspekten ist hier das Double Bind: Trans Frauen müssen den gesellschaftlichen Zwang zur Eindeutigkeit internalisieren und so eine bruchfreie Erfolgserzählung aufrechterhalten: „Ich habe mich schon immer eindeutig als Mädchen/ Frau gefühlt und die Transition war eine Befreiung für mich. Ich bin immer gerne Frau.“ Auf die soziale Rolle der Frau reduziert, sollen sie sich geichzeitig kritisch zum Frausein verhalten, um nicht stereotype Weiblichkeitsbilder zu reproduzieren: „Sie fühlen sich als Frauen.“ (Feministischen) cis Frauen wiederum wird eine stete Desidentifikation mit dem eigenen Geschlecht abverlangt, durch die also deutlich wird, dass sie lediglich durch den Zwang der Biologie Frauen sind und damit einen kritischen Umgang suchen. Dieser Bruch mit dem Frausein ist auch notwendig emanzipatorisch, um die klassische Rolle der Frau zu überwinden. Auf die Biologie zurückgeworfen, sollen sie sich jedoch den Erwartungen nach bruchfrei mit ihrem Geschlecht identifizieren können, denn als cis Frauen seien sie ja identisch mit dem Frausein: „Sie sind Frauen“. Die brüchige Opposition von Sein und Wollen drückt den wesentlichen zu betrauernden Konflikt aus: Während die eine auf einen vermeintlichen Naturzustand zurückgeworfen und entmündigt wird, wird der anderen ein zweifelhafter Wille unterstellt, der gleichgesetzt wird mit Wahnsinn, Falschheit und Perversion. Im Streit um die Frage danach, welche weiblichen Erfahrungen und Werdungsprozesse die größere Validität hätten, zeigt sich der Fallstrick des Patriarchats: Heilige vs. Hure, oder dem Kontext von cis und trans angepasst: die Echte vs. die Falsche. Die Gemeinsamkeit in der Differenz zeigt sich also im Bewusstsein um den Zusammenfall der Beanspruchung cis weiblicher und der Eliminierung transgeschlechtlicher Körper im Laufe der patriarchalen Geschichte und der daraus resultierenden Zuschreibungen an gebärende und nicht gebärende Weiblichkeit. Dass die beschriebenen Konflikte beider Subjektpositionen eben keine individuellen, sondern auch gesellschaftliche sind, vermittelt sich in der Tiefe und der Bedeutung der ausgetragenen Konflikte nur noch sehr schwer, scheint unter der Last des Dilemmas, das beide Seiten notwendig in sich und mit sich tragen, zu verschwimmen. Diese Erkenntnis könnte eine Möglichkeit sein, die Auseinandersetzungen in eine emanzipatorische Richtung zu lenken, die den Subjekten im besten Fall Handlungsmöglichkeiten eröffnet, die die Entwicklung und Befreiung aller im Blick hat – anstatt sie zu verschließen und sich gegenseitig zum Verstummen zu bringen.


Daria Kinga Majewski schreibt und spricht zu Fragen von Feminismus, Transgeschlechtlichkeit und Emanzipation. Besonders beschäftigt sie die historische Entwicklung der heutigen Identität trans und damit die Frage nach gelungener und geschichtsbewusster Transidentitätspolitik.


  1. Vgl. Herrn, Rainer: Das 3. Geschlecht. Reprint der 1930-1932 erschienenen Zeitschrift für Transvestiten. Berlin 2016. – Nachdem sich in den 1920er Jahren Transvestiten vor allem in einer eigenen Themensparte der Zeitschrift Die Freundin öffentlich äußerten, wuchs gegen Ende der 1920er das Bedürfnis, eine eigene Zeitschrift für Transvestiten zu drucken. So kam es zum Druck der im Radszuweit Verlag erschienen Zeitschrift Das 3. Geschlecht

  2. 1910 prägte Magnus Hirschfeld den Begriff des „Transvestiten” und definierte diesen als einen natürlichen Verkleidungstrieb. Transvestitismus sei also kein Fetisch, sondern eine geschlechtliche Ausformung. Die medizinischen Transitionsmöglichkeiten steckten noch in den Kinderschuhen, weshalb die Sprache eine gänzlich andere war als heute. Es wurde von männlichen Transvestiten gesprochen, wenn Menschen gemeint waren, die mit männlichen Geschlechtsteilen zur Welt gekommen waren, und von weiblichen Transvestiten, wenn Menschen mit weiblichen Geschlechtsteilen gemeint waren. Heterosexuelle Transvestiten waren diejenigen, die jenseits des Transvestitismus in „normalen” heterosexuellen Ehen lebten. Homosexuelle Transvestiten wurden den homosexuellen Subkulturen zugeordnet. Weiterhin unterschieden wurde zwischen solchen, die nur im Privaten transvestitisch lebten, und den sog. Voll-Transvestiten oder Extremen Transvestiten, die schlicht als Männer oder Frauen lebten/leben wollten. 

  3. Cis ist das Gegenteil von_ trans_. Demzufolge sind cis Frauen diejenigen Frauen, die bei der Geburt als Mädchen klassifiziert wurden, wohingegen trans Frauen diejenigen Frauen sind, die bei der Geburt als Jungen klassifiziert wurden. 

  4. Hirschfeld, Magnus: Die Transvestiten. Eine Untersuchung über den erotischen Verkleidungstrieb mit umfangreichem casuistischen und historischen Material. Leipzig 1925. Download unter https://lilielbe1.files.wordpress.com/2016/01/hirschfeld_die_transvestiten_1925.pdf. 

  5. Dietrich, Berthe, in: Das 3. Geschlecht (s. o.), 2/1930. 

  6. Vgl. Raymond, Janice: The Transsexual Empire. The Making of the She-Male. Boston 1994. 

  7. Pintul, Naida, Marte, Janina: „Die Reform würde eine biologische Fiktion von Frauen mit Penis erschaffen“. Feministinnen in Großbritannien kritisieren den Gender Recognition Act. In: Jungle World 4/2019. 

  8. Hier wird Bezug genommen auf Engels, Friedrich: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. Hottingen-Zürich 1884. 

  9. Mit trans Männern oder nicht-binären Positionen, die potenziell gebären könnten, beschäftige ich mich an dieser Stelle nicht, da eine umfassende Analyse den Rahmen eines Kommentars weit sprengen würde. 

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