Redaktion outside the box, Constanze Stutz

Wofür wir streiten

Redebeitrag auf dem Leipziger IDAHIT*

Conny aus der outside-Redaktion hat auf dem Leipziger IDAHIT* am 17. Mai 2015 eine wunderschöne Rede gehalten. Hier ist sie:

Wofür wir streiten

Als ich begann mich zu streiten, waren es meine Eltern, meine Schwestern und andere Kinder mit denen ich meine Kämpfe führte. Wir stritten, balgten und ließen Haare um Aufmerksamkeit, Spielsachen und andere scheinbar unlösbare Dummheiten. Ich stritt mich weiter durch ein Erwachsenwerden. Ein Erwachsenwerden, dass von einem der unversöhnlichsten Gefühle durchzogen war. Das Gefühl sich nicht mit der Welt abfinden zu wollen, so wie sie ist. Das Gefühl sich nicht mit sich selbst in dieser Welt abfinden zu können, mit ihr in Streit geraten. Wir alle streiten uns ständig. Wir streiten uns mit uns selbst, mit unseren immer auch geschlechtlichen Identitäten und mit einer Gesellschaft die auf Unterdrückung, Ausgrenzung und Ausbeutung basiert.

Was ich nicht mehr hören kann:

Reg dich doch nicht immer künstlich auf. Lächel doch mal. Wenn du schon so einen kurzen Rock trägst, solltest du aber wirklich deine Beine rasieren. Vielleicht solltest du das mal behandeln lassen.

Die feinen Linien gesellschaftlicher Konflikte finden ihren Ort kaum mehr in der Öffentlichkeit. Die Konflikte haben sich längst in uns hinein verlagert: Subjekt zu sein, bedeutet momentan kaum mehr als die ständige Disziplinierung und Kontrolle des eigenen Körpers, der eigenen Gedanken und der Handlungen die folgen. Die Dramatikerin Sarah Kane schrieb in ihrem letzten Stück: “Sie werden mich lieben für das was mich zerstört.” Uns wurde beigebracht, unsere Wut nach innen zu richten, uns ehr selbst weh zu tun als anderen. Frauen, Queers und alle anderen die unter den Geschlechter-, Macht- und Eigentumsverhältnissen leiden wenden diese Erfahrungen mitunter gegen sich selbst, Selbsthass und Gewalt sind ihr Ausdruck. Es ist, so gesehen in dieser Gesellschaft, besser ein krankes Mädchen zu sein, als ein Mädchen, das aus ihrem Krankenbett steigt und die Macht der sexistischen, trans*- und homofeindlichen Gesellschaft herausfordert.

Zu Streiten würde in diesem Moment bedeutet Raum einzunehmen, in Widerspruch zu geraten, Position zu beziehen. Doch ist es gerade das was wir nicht sollen: Raum einnehmen. Ein – nehmen im Sinne von besetzen und besetzt halten. Die Idee einer Gesellschaft ohne Unterdrückung, ohne Rassismus, Sexismus, Antisemitismus bleibt zu oft unartikuliert, uneingestanden, namenlos. Was uns verloren geht, ist ein Begriff für das was uns so kaputt macht. Nehmen wir den Streit mit uns selbst und tragen wir in dahin so er hin gehört: mitten in die Öffentlichkeiten, mitten in gesellschaftlichen Strukturen, die uns so kaputt machen.

Unsere geschlechtliche Identität und jene, die wir aus unserem Begehren ziehen, ist ein notwendiger Bezugspunkt jeglicher und damit auch unserer Politik. Ich bin weiblich, männlich oder weder noch / Ich homo, hetero oder was anderes / Ich bin trans*, cis oder dazwischen.

Das sagen wir, weil wir uns damit selbst benennen und einen Ort geben. Wir sagen es aber auch, weil wir von der Gesellschaft so angesprochen werden. Weil es nicht funktioniert in dieser Gesellschaft, nichts davon sein zu wollen oder zu können. Es gibt einen Zwang zur Identität. Wir müssen etwas sein, und dieses etwas muss klar erkennbar, benennbar und ausbeutbar sein. Identität ist immer Identifikation und Abgrenzung zugleich. Identitätspolitik beibt notwendiger Bezugspunkt jeglicher und damit auch unserer Politik. Wenn wir aber allein bei der Forderung stehen bleiben, dass unsere Identitäten anerkannt werden sollen, von einer Gesellschaft, die falsch eingerichtet ist, dann erkennen auch wir diese Gesellschaft an, die falsch eingerichtet ist. Wenn wir uns damit begnügen, zu fordern auch endlich mit am Tisch der großen Privilegien sitzen zu dürfen, vergessen wir, dass all dies Teil von jenen Strukturen ist, die uns erst an den Katzentisch verbannten. Die Geschichte der Frauenbewegung, der Schwulen- und Lesbenbewegung, der Queerbewegung ist unsere Geschichte. Ihre Kämpfe waren Sieg und Niederlage gleichermaßen. Ihre Kämpfe griffen zu kurz.

Wir sind immer noch hier. Wir leben noch immer in einer Gesellschaft in der all die Unterdrückung gegen die sie einst auf die Straßen gegangen sind, nicht verschwunden ist. Wir sind immer noch hier. Wenn wir weiter nur mit uns selbst und unseren Identitäten streiten, vergessen wir die Gesellschaft, die sie erst ermöglichen und viel zu oft verunmöglichen. Und gerade das ist der Streit der geführt werden muss. An die eigenen Widersprüche gelangen und damit auf sie gestoßen werden: Wie sonst haben wir uns politisiert? Wie sonst begegnen wir einer feindlichen Wirklichkeit? Einer Wirklichkeit, die all ihre Widersprüche unter den Teppich kehren will. Unter den Teppisch eines falsch aufgelösten Pluralismus, der sich längst aller Konflikte entleert hat.

Was ich nicht mehr hören kann: Das ist halt deine Meinung, ich hab eine andere. Lass uns doch jetzt nicht wieder streiten.

Ich sage: Wir müssen rein in den Streit mit einer Gesellschaft, die uns weiß machen möchte, dass wir uns nur genug anstrengen müssen und das es an uns liegt wenn wir scheitern. Wir müssen rein in den Streit mit einer Gesellschaft die noch immer auf Kapital und Lohnarbeit basiert. Wir müssen rein in den Streit mit uns selbst und begreifen, dass ein gutes Leben im Hier und Jetzt und die Überwindung der Strukturen, die es systematisch untergraben, notwendig zusammen gehören. Selbstsorge allein ist noch keine emanzipatorische Praxis, wenn wir vergessen, dass wir das, was für uns wollen, für alle wollen. Und es damit nicht nur beim wollen bleiben darf. Wir müssen rein in den Streit um Identitätspolitik, um Politik überhaupt. Wir müssen uns streiten um die Art und Weise wie wir leben wollen. Wir müssen streiten für eine Gesellschaft in der wir leben können. Für eine Gesellschaft in der wir nicht nur überleben.

Es wird uns nicht gelingen, die versteinerten Verhältnisse zum tanzen zu bringen, wenn wir uns nicht den Widersprüchen annehmen, die sich durch uns, diese Gesellschaft und auch unsere Freundeskreise, Theoriegruppen und Aktionsformen ziehen. Erst wenn wir beginnen die Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Widersprüche in unserer geschlechtlichen Identitäten und den Zurichtungen, die diese in der Gesellschaft in der wir leben bedeutet, zur Sprache zu bringen, überwinden wir den Stillstand.

Wir müssen uns also entscheiden, ob wir uns ändern, um in die Geschichte zu passen, oder ob wir die Geschichte verändern.

Das ist das, worum und wofür wir streiten.

Constanze Stutz lebt und schreibt in Leipzig. Sie ist Redaktionsmitglied der outside the box.

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