Virginia Spuhr

Die Furcht vor dem weiblichen Fleisch und Fett

Das Buch der britischen Bloggerin Laurie Penny, Fleischmarkt, liest sich gut und hat oft recht

„Wenn wir die Unterdrückung der Frau in der westlichen Welt wirklich verstehen wollen, müssen wir begreifen, dass ihre Verdinglichung und ihr sexuelles Funktionieren Arbeitsleistungen sind. […] Von der Arbeitszeit, die für den Kauf und den strategischen Einsatz von Kleidung, Frisur und Schönheitsoperationen aufgewendet wird, über die tatsächliche Arbeit bei Diät und Fitness, bis zur Erschaffung und Erhaltung der sexuellen Rolle – die Selbstverdinglichung ist Arbeit, zuerst und vor allem.“ (S.37)

Etwa zwanzig Mal habe sie den Titel ihres Buches geändert, gesteht Laurie Penny am Ende der Danksagung. Ich wäre neugierig zu hören, wie die Neunzehn verworfenen heißen; mein Lieblingstitel wäre wohl „die Heilige und die Hure im modernen Kapitalismus“, denn Penny begleitet den weiblichen Körper dialektisch durch Medien, Sexarbeit, Magersucht und Hausarbeit im 21. Jahrhundert. Dabei beschreibt sie das Maß an Zurichtung der Frauen mit deutlichen Worten, ohne agitierend zu sein. Besonders ihr Blick auf Essstörungen, den sie durch ihre eigene Erfahrung und Analyse erhalten hat, spricht vieles aus, was die Welt so noch nicht gehört hat. Sie nennt dieses Kapitel „Raum einnehmen“ und stellt fest, wie der weibliche Körper als „Ressource“ und „Produktionsmittel“ genutzt wird. Die Ursache schreibt sie der „Toxizität der patriarchalen kapitalistischen Standards“ (S.45) zu, den „Triumph des freiwilligen Hungerns“ sieht sie als größte Niederlage des westlichen Feminismus an, dessen Aspekte als geschlechtsspezifisch erkannt werden. Häufig gehe es nicht um das Größe-Null-Modell oder darum, sich begehrenswert zu machen, sondern im Gegenteil um das Abhungern eines weiblichen Körpers (mit Libido) zu einem Mädchenkörper (der so geschwächt nichts mehr begehren kann). Die fehlende Kontrolle über die Welt, in der man lebt und über die Objektivierung durch diese Welt wird ersetzt durch die Kontrolle über den eigenen Hunger (und damit das eigene Leben). Weit entfernt davon, eine psychologisch-wissenschaftlich umfassende Darstellung des Themas geben zu wollen, ist Fleischmarkt in einer Kritik des Patriarchats UND des Kapitalismus damit sehr bestechend.

Dabei beschreibt sie das Maß an Zurichtung der Frauen mit deutlichen Worten, ohne agitierend zu sein.

Leider führt sie diese umsichtige Betrachtungsweise nicht immer konsequent aus. Beim Thema Prostitution wird ihre Analyse der Zurichtung des weiblichen Körpers in der patriarchalen, kapitalistischen Gesellschaft ad absurdum geführt, wenn der zuvor noch als „Produktionsmittel“ und „Ressource“ benutzte Körper in der Sexarbeit „theoretisch auch ohne Ausbeutung verkauft werden könnte“ (S.39), wäre diese nur legalisiert. Abgesehen davon, dass hier – wie auch an anderen Stellen – ihr Blick von England in die USA reicht, jedoch die Erfahrungen mit legalisierter Prostitution in Deutschland und anderen Ländern nicht zur Kenntnis nimmt, wird hier zudem deutlich: Bei Penny hört Ausbeutung auf, wo gut bezahlt wird. Zwar sieht sie die „Verdinglichung weiblicher Sexualität als Arbeit“ (S.44), doch was sie eigentlich kritisiert, ist die mangelnde Kontrolle über die Erträge dieser Arbeit. Ihre Forderungen klingen dann ein wenig wie Elmar Altvaters Ruf nach dem Ende des Raubtier-Kapitalismus: verkürzt. Auch ist es schade, dass Penny den Geschlechtermythos zurecht mit Schimpf und Schande vor sich her treibt, um dann nur bestimmte, essentialistisch argumentierende Feministinnen der zweiten Welle zu zitieren und die ganze Zweite Frauenbewegung als Komplizinnen an der „Tyrannei der Geschlechtsstereotypen“ (S.86) abzulehnen. „Die Furcht vor dem weiblichen Fleisch und Fett ist die Furcht vor der weiblichen Macht, der sublimierten Macht der Frauen über Geburt und Tod und Schleim und Sex“ (S.63), schreibt sie zwar im Kapitel über Magersucht und Bulimie. Das dies eine These genau dieser Frauenbewegung ist, die nach der Erfahrung der fünfziger Jahre und der (auch sexistischen) 1968er Bewegung darum Frauenhäuser und -gruppen gründete, davon spricht sie nicht.

Bei Penny hört Ausbeutung auf, wo gut bezahlt wird.

Laurie Penny ist auf der Insel ein Phänomen. Sie ist jung (wie ihr Verlag betont) und sie nimmt sich viel medialen Raum für ihre Sicht der Dinge – nicht nur, wenn es um feministische Themen geht. Als Bloggerin, Journalistin des New Statesman, Guardian, Independent und „Querulantin“ (wie sie sich selbst bezeichnet), wurde sie neulich vom Daily Telegraph zur „55th most influential leftist of GB“ gekürt. Dass sie dafür Aufmerksamkeit und (auch finanziell) Anerkennung erhält, ist dabei bewundernswert und erstaunlicher als die vielen Anfeindungen und der von Wohlwollen bis Lächerlich-Machen reichende Paternalismus ihrer KontrahentInnen. Und auch wenn ich nicht jeden eloquenten Gedanken teile, den sie schreibt – ihr Buch thematisiert feministische basics neu und ihr Fazit ist richtig: Es ließe sich durchaus bezeichnen als Negation aller Verhältnisse, in denen die Frau ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.

Laurie Penny: Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus. Edition Nautlius, Hamburg 2012.

Virginia Spuhr lebt in Leipzig und ist Teil der outside the box Redaktion.

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