Über die Repräsentation der Differenz und die Kritik Marx'scher Begriffe
Über den Zustand des Geschlechterverhältnisses können auch die panischen Unkenrufe und die reaktionären Auswürfe der Männerbewegten nicht hinweg täuschen: Frauen verdienen immer noch weniger Geld bei gleicher Qualifikation, sie übernehmen den Großteil an reproduktiven Tätigkeiten und sind mehr von Armut betroffen als Männer.1 Das alles ist nicht neu, aber immer noch reproduziert sich die Arbeitsteilung der Gesellschaft zu Ungunsten der Frauen. Zur Beantwortung der Frage, weshalb sich diese ungleiche Teilung entlang der Geschlechter nach wie vor herstellt, rückten manche TheoretikerInnen den Begriff der Reproduktion in den Fokus feministischer Theorie. Mit ihm sollte das Verhältnis von Kapitalismus und patriarchalem Geschlechterverhältnis aufgeklärt werden.2 In dieser Tradition feministischer Theorie steht auch der Artikel Produktives Gebären: Elemente einer feministischen Ökonomiekritik aus der outside the box # 3, in dem die Autorin Felicita Reuschling unterschiedliche Theorien zum Thema Reproduktion referiert. Dabei versucht sie, ein angemessenes Bild des kapitalistischen patriarchalen Geschlechterverhältnisses zu zeichnen, indem sie ihr Augenmerk auf die Arbeit von Frauen und subsistenzwirtschaftenden Bauern richtet. Deren Repräsentation sei in der bürgerlichen Gesellschaft und der marxistischen Theorie vermeintlich nicht oder falsch vorhanden, weshalb es einer Kritik der Begriffe des Proletariats und der Produktivkraftentwicklung, wie sie sich bei Marx finden, bedürfe (49). Ihr Interesse gilt also der Repräsentation heterogener Arbeitsverhältnisse und Subjektivitäten (u.a. 56).
Die Positionen, die meinen das Geschlechterverhältnis rein mit den Begriffen der Kritik der politischen Ökonomie erklären zu können, liegen also ebenso falsch, wie die, die einen “blinden Fleck” zu entdecken glauben.
In dem Artikel finden sich Beispiele für die heute weit verbreiteten Missverständnisse über die Marx’schen Begriffe. Doch handelt es sich nicht nur darum, dass der ein oder andere Begriff einfach nur falsch verstanden wurde und kleine Änderungen zur Bereinigung reichten, sondern hinter den von Felicita Reuschling falsch verstandenen Begriffen steht ein bestimmtes zeitgenössisches Denken, das notwendig diese Verzerrungen hervorbringt. Daher versuche ich in meinem Artikel das, was implizit an falschen Annahmen über die Wirklichkeit und deren gedankliche Reflexion mit schwingt, zu explizieren. Reuschlings Anmerkungen zu den Begriffen Proletariat, Klasse und Produktivkraft sind also Ausdruck eines Denkens, das die grundlegenden Kategorien der kapitalistischen Gesellschaft nicht begreift und so auch nicht mehr begrifflich antizipieren kann, was sein könnte, also das Interesse an der Aufhebung jeder Ausbeutung verliert. Am trefflichsten drückt sich dieses Denken in der Formulierung aus, dass „feministische Positionen“ mit „materialistischer Gesellschaftskritik“ „zusammen gedacht“ werden müssten (49, 50), wie sich im Laufe dieses Artikels zeigen wird.
Die Hausarbeit, die Differenz an sich und das Ende der Dialektik
Der Frage nach der Beziehung von patriarchalem Geschlechterverhältnis und Kapitalismus nähert sich Reuschling, indem sie sich auf die Suche nach Theorien macht, die Frauen und Reproduktionsarbeit thematisieren und repräsentieren. Fündig und zugleich enttäuscht wird sie von den Schriften des Kreises um Maria Mies, Veronika Bennholdt-Thomsen und Claudia von Werlhof aus den 1980er Jahren, die als Bielefelderinnen in die Geschichte der feministischen Theorie eingingen. Sie versuchten, einen notwendigen Zusammenhang von Frauenunterdrückung und Kapitalismus nachzuweisen. Der Vorwurf der Bielefelderinnen an die Marx’sche Kritik der politischen Ökonomie ist folgender: In der Kritik der politischen Ökonomie werde erstens ausgeklammert, dass die wertförmige gesamtgesellschaftliche Produktion notwendig auf der agrarischen, nicht-warenförmigen Subsistenzwirtschaft von Bäuerinnen und Bauern in der „Dritten Welt“ beruhe3, und zweitens die nicht-warenförmigen, reproduktiven Tätigkeiten von Frauen einen notwendigen Anteil an der Reproduktion der Ware Arbeitskraft hätten (Mies (a), 117.4 Folglich basiere die Schaffung des Mehrwerts und damit die Ausbeutung der warenförmigen Lohnarbeit auf der Ausbeutung von Frauen und Bäuerinnen und Bauern, weshalb „das im Kapitalismus vorherrschende Produktionsverhältnis nicht einfach das Lohnarbeitsverhältnis“ sei (Werlhof, 24).5 Genau an diese Vorstellungen knüpft Reuschling an und übernimmt die Ansicht der Bielefelderinnen, dass der Mehrwert in der erweiterten Reproduktion des Kapitals nur realisiert werden könne von nicht warenförmig produzierenden Gesellschaftsschichten: „Daraus [aus der These, dass der Mehrwert realisiert werde von nicht kapitalistisch produzierenden Gesellschaftsschichten, K.L.] folgt ein durchaus spannender und ernstzunehmender Perspektivwechsel, der bis heute kaum besser formuliert wurde.“ (55) Sogleich aber widerspricht sie ihrer eigenen Einschätzung und bezeichnet die Konsequenzen der eben als „spannend“ gelobten These als „ungeheuerliche theoretische Dominanz der Marxisten in dieser Zeit“, die „selbst bei ihren Kritikerinnen theoretische Spuren in ihren Bezügen hinterlassen“ hätten (55). Die Konsequenz der als „spannend“ bezeichneten These besteht einfach darin, dass sie natürlich impliziert, dass – wie Claudia von Werlhof schreibt – der Kapitalismus als Totalität begriffen werden muss. Wie sonst kann die nicht-warenförmige Hausarbeit als systematisch notwendiger Teil der Gesamtreproduktion der (Welt)Gesellschaft angesehen werden? Reuschling tilgt noch den letzten Rest Dialektik, der bei den Bielefelderinnen zu retten wäre. Womöglich unbewusst führt sie eine vage Vorstellung von Totalität wieder ein, wenn sie schreibt, dass „eine Gleichzeitigkeit und Persistenz unterschiedlicher Klassenformen, Hierarchie- und Ausbeutungsverhältnissen als funktionaler Bestandteil des Kapitalismus konstatiert“ werden müssten (55, Hervorhebung von mir).
Die Gesellschaft wird also nicht als Einheit der Vielheit begriffen, als ein strukturiertes Ganzes, das durch Teile struktuiert und wiederum selbst die Teile strukturiert, sondern als additive Aneinanderreihung unterschiedlicher, äußerlich verbundener Sphären.
Ihre Aufmerksamkeit schenkt Felicita Reuschling den Bielefelderinnen deshalb, weil diese in ihrer Analyse des Geschlechterverhältnisses mit dem Begriff der Differenz operierten. Allerdings werde der Begriff der Differenz – so Reuschlings Kritik – im Laufe der Zeit „vereindeutigt und damit auch gleichzeitig selbst wieder dichotomisiert“ (56). Zunächst sei es den Bielefelderinnen um die Anerkennung und Repräsentation von Differenzen und Vielheit gegangen – also um die Repräsentation von nicht-warenförmig Produzierenden. Dann allerdings wäre aus den Frauen und Bauern, die in der Konzeption der Bielefelderinnen als Statthalter der nicht-warenförmig produzierenden Gesellschaftsschichten dienten, die Gruppe von Menschen geworden, von denen eine Abschaffung der kapitalistischen Herrschaftsformen zu erwarten sei, da sie eben aus den Sphären jenseits der bösen Wertverwertung kämen. Das sei – so Reuschling richtigerweise – eine zu vermeidende identitäre Position, die Frauen und Gebrauchswert schaffende Hausarbeit fälschlich zum „guten Prinzip“, die Tauschwert schaffende, warenförmige Lohnarbeit als männlich und schlecht/entfremdet stilisiere (56).6 So richtig Reuschlings Kritik dieser Identifizierung und der moralischen Bewertung von Hausarbeit ist, so unklar bleibt ihre Kritik aufgrund dessen, dass die Repräsentation der Differenz ihr Kritikmaßstab ist. Denn der Grund der „identitären Position“ (55) der Bielefelderinnen, die mit dem „Versuch einer antikapitalistischen Kritik, die vom Anspruch ausging, die Heterogenität von Subjektivitäten und Klassenverhältnissen im Kapitalismus angemessen zu repräsentieren“ (55) angetreten waren, liegt im Auseinanderreißen von Gebrauchswert und Tauschwert. Mit dem antidialektischen Auseinanderreißen der zwei Seiten der Ware – des Gebrauchs- und des Tauschwerts – teilen Maria Mies und ihr Kreis aber ein grundlegendes Denkmotiv mit Felicita Reuschling: Vor dem Hintergrund des Differenzparadigmas scheint der Fehler der Bielefelderinnen darin zu liegen, eine Personengruppe als moralisch ausgezeichnet zu bewerten und so nur eine und somit nicht hinreichend viele Differenzen repräsentiert zu haben. Während die Bielefelderinnen am Ende die Identität der Reproduktionsarbeiterin hypostasieren, überhöht Reuschling die Differenz an sich: nur sie soll gelten. So wie jene zwei Seiten ein und derselben Sache isolieren – Gebrauchswert und Tauschwert – so reißt Felicita Reuschling Einheit und Vielheit zu scheinbaren Gunsten der Vielheit auseinander. Vielheit und Differenz schlagen hier um in Identität der Vielheit: Alles muss sich dieser Vielheit unterordnen, mithin also der Vielheit subsumiert werden. So bleibt diese „Kritik“ selbst moralisch, nur dass eben einzig der Differenz an sich die positive Bewertung zukommt.7
Arbeit und Gebären
Reuschling schilt die Bielefelderinnen, den Marx´schen Begriff der produktiven Arbeit aufgenommen und auf das Gebären ausgeweitet zu haben (56). So schreibt etwa Maria Mies in ihrem Aufsatz Gesellschaftliche Ursprünge der geschlechtlichen Arbeitsteilung, dass Gebären als Arbeit anerkannt werden müsse, da Gebären ein Akt der Produktion sei. Die weibliche Produktion neuer Menschen sei – wie jede menschliche Produktion – ein Prozess der gesellschaftlichen Aneignung der eigenen Natur und kein rein natürlicher Vorgang (Mies (b), 169-173). Reuschling hält diese Überlegungen zur Produktivität des Gebärens für „gänzlich bizarr“. Allerdings ist ihr einzig angeführtes „Argument“ äußerst schwach: „Damit wird der marxsche Arbeitsbegriff wieder aufgenommen und in diesem Sinne auch Gebären als ‘produktiv’ definiert.“ (56) Was nun an dem Arbeitsbegriff falsch sein soll, bleibt leider unklar. Tatsächlich beruht die in ihren Konsequenzen falsche These von Maria Mies auf richtigen Überlegungen, die bei Reuschling verloren gehen. Gebären weise die Bestimmungen von Arbeit auf wie Aneignung der Natur, Relationalität, Produktion und Gesellschaftlichkeit (Mies (b), 170). Der Akt des Gebärens sei also die Aneignung der eigenen Natur und der eigenen Produktivität, da ein neuer Mensch produziert werde. Wichtig ist ihr, dass es sich auch bei einem so kreatürlichen Akt wie dem Gebären um einen gesellschaftlich vermittelten handelt. Deshalb sei das Gebären als Arbeit anzuerkennen. Mies versucht – wie der Titel des Aufsatzes schon sagt – den Ursprung der geschlechtlichen Arbeitsteilung anzugeben. Methodisch richtig vorgehend sucht sie diesen Ursprung nicht in einer unveränderlichen Natur des Menschen sondern in der allgemeinen Struktur seines geschichtlich veränderlichen Reproduktionsprozesses: der gesellschaftlichen Arbeit. Tatsächlich weist das Gebären Ähnlichkeit zur Arbeit auf: Sie ist ein Akt der Produktion und Reproduktion und, wie jede Leiblichkeit, gesellschaftlich vermittelt. Allerdings ist aus dieser Ähnlichkeit – hier hat Felicita Reuschling recht – nicht der Schluss zu ziehen, es handle sich beim Gebären um Arbeit. Gebären ist nicht selbst das Vermittelnde von Natur und Gesellschaft, sondern durch Arbeit ist das Gebären immer schon vermittelt. Die vermittelnden Arbeiten sind die Tätigkeiten, die Mies selbst anführt, wie zum Beispiel die Tradierung von Wissen und die Technik des Gebärens und Verhütens. Diese sind aber nicht der Akt des Gebärens selbst. Maria Mies scheint sich aber noch im Klaren darüber gewesen zu sein, dass die grundlegende Analysekategorie und der methodische Ausgangspunkt einer Theorie und Kritik des gesellschaftlichen Seins die Arbeit, der „Herstellungsprozess“8 des Menschen sein muss. Wie gesagt versucht sie, die Ursprünge der geschlechtlichen, auf Unterdrückung der Frau basierenden Arbeitsteilung aufzuweisen, und diese sucht sie in der Arbeit selbst, indem sie den Arbeitsbegriff ausweitet. Sehr richtig bemerkt sie, dass das Gebären von Menschen die Bedingung jeder menschlichen Arbeit überhaupt ist (ebd.167). Durch die Ausweitung des Arbeitsbegriffs auf Gebären begibt sie sich allerdings in einen Zirkel: Die Bedingung der Arbeit ist dann Arbeit. Vielmehr ist es so, dass der Begriff der Arbeit als Grundelement des gesellschaftlichen Seins dessen Bedingungen erhellt, ohne dass diese selbst wieder Arbeit sind.9 Von der gesellschaftlichen Kategorie Arbeit ausgehend muss Gebären als Moment von Geschlechtlichkeit und damit an der Grenze von Natur und Gesellschaft bestimmt werden.10 Reuschlings Vorschlag, Gebären als „gesellschaftliche Leistung“ zu deuten (56), entbehrt der fundierten methodischen und systematischen Tiefe des Versuchs von Maria Mies. Reuschlings Ablehnung des Versuchs von Maria Mies scheint darauf zu beruhen, dass sie Arbeit und Produktion einzig in ihrer kapitalistischen Form zu denken vermag. So identifiziert sie Arbeit mit Lohnarbeit und kann nicht das Verhältnis von Arbeit im Allgemeinen zu ihren historischen Formveränderungen thematisieren. Arbeit allgemein ist der grundlegende Weltbezug des Menschen, in dem er sich die Natur aneignet und sie umformt, die äußere wie auch seine eigene.
Die Differenz repräsentieren
Wie oben schon angedeutet, geht es der Autorin des Artikels Produktives Gebären darum, „das politische Subjekt, die Klassentheorie und den Begriff der Arbeit bei Marx infrage zu stellen“ (49) zugunsten der Repräsentation der Heterogenität von Subjektivitäten und der „Heterogenität der Arbeitsverhältnisse innerhalb der kapitalistischen Vergesellschaftung“ (56). Durch die Darstellung der Differenzen soll die Wirklichkeit gedanklich angemessen wiedergegeben werden. Die Aufgabe von Theorie wäre demnach, die Abweichungen von dem, was gleichsam als „Norm“ identifiziert wird, darzustellen und sichtbar zu machen. Allerdings erkennt, wer die Forderung nach der Repräsentation von irgendwem oder irgendetwas aufstellt, implizit an, was die Grundlage des kritisierten Resultats – des „Ausschlusses“ – bildet. So verschwindet hinter der Forderung nach Anerkennung die Kritik der durch produktive Arbeit entstehenden und sich reproduzierenden Armut und die Forderung nach einer Praxis, die Lohnarbeit abschafft. Die Forderung nach der Repräsentation heterogener Arbeitsverhältnisse bedeutet nichts anderes, als die Anerkennung der Vielheit der Ausbeutungsverhältnisse, Repräsentation irgendwelcher deformierenden Lebensverhältnisse! Diese harmlose Position hat jegliche Radikalität eingebüßt, die in der Marx´schen Ablehnung aller gegenwärtigen Lebensformen und der Forderung, alle Verhältnisse umzuwälzen, in denen der Mensch ein geknechtetes Wesen ist, enthalten war.
Nur leider erhellt das Insistieren auf die Anerkennung heterogener Arbeitsverhältnisse im Kapitalismus nicht das Spezifische kapitalistischer Ausbeutung, weshalb die Anmerkung, es gebe unterschiedliche Tätigkeiten trivial bleibt.
Die Repräsentation der Heterogenität droht zwangsläufig jeden Augenblick in ihr abstrakt negiertes Gegenteil zu kippen: in Identität. So moniert Felicita Reuschling an den Schriften der Bielefelderinnen den Verlust des „heterogenen Inhalts“ des Begriffs der Differenz (56). Was aber ist ein heterogener Inhalt, der in einem Begriff repräsentiert werden soll, anderes als Leere? Zugleich ist die Anerkennung der jeweils unterschiedenen Subjektivitäten nur möglich als Anerkennung vieler unterschiedener Identitäten. Die Aufhebung dieser abstrakten und starren Entgegensetzung von Identität und Differenz wäre möglich gewesen, wäre der Blick der Autorin auf „die hegelschen Begrifflichkeiten von Totalität und Identität“ (50) nicht gar so flüchtig geblieben: Der Begriff der Totalität ermöglicht ja gerade, weder die Vielheit noch die Einheit, weder die Differenz noch die Identität zu verabsolutieren, sondern das Flüssigwerden der Identität zu Differenzen zu erkennen und zugleich ihre Identität zu begreifen.11 Das Paradigma der Differenz wie es zur Zeit und exemplarisch in Felicita Reuschlings Artikel vorherrscht, bringt es nur zur Verabsolutierung der Differenz: Die Wirklichkeit wird zu vereinzelten, unvermittelt scheinenden Einzelheiten verdinglicht und identitär still gestellt. Konkrete Totalität bei Marx hingegen bedeutet, nicht bei den unmittelbar dem Alltagsverstand sich darstellenden isolierten Fakta stehen zu bleiben. Was eine Sache ist, wird erst klar durch die Darstellung ihrer Genese und ihrer Wechselwirkungen zu anderen Teilen und zum Ganzen.12
Das Ganze und die Teile
Eben dieses Denken drückt sich auch aus in der Formulierung, dass „materialistische Gesellschaftskritik“ (an anderer Stelle heißt es „Kritik der politischen Ökonomie“, 59) und „feministische Positionen“ „zusammen gedacht“ werden sollen. Sie impliziert, dass es sich um eigentlich getrennte Sphären handelt, die die Theoretikerin erst als zusammenhängende darstellen muss: In diesem Falle also die Sphäre der Reproduktions- und Subsistenzarbeit von Frauen als Gegenstand der „feministischen Position“ einerseits, die Sphäre der Ökonomie, der Produktion als Gegenstand „materialistischer Gesellschaftskritik“ andererseits. Die Gesellschaft wird also nicht als Einheit der Vielheit begriffen, als ein strukturiertes Ganzes, das durch Teile strukturiert ist und wiederum selbst die Teile strukturiert, sondern als additive Aneinanderreihung unterschiedlicher, äußerlich verbundener Sphären. Dadurch stellt sich dann natürlich das Problem, wie das einmal in Differenz und Vielheit zerschlagene und als Getrenntes vorausgesetzte wieder in eine Einheit, einen „Zusammenhang“ gebracht werden kann. Auf dieses Problem kommt die Autorin auch zu sprechen (57), kann aber keine Lösung mehr anbieten, da sie sich ja des Begriffs der Totalität entledigt hat, mit dem die Gesellschaft als ganze als Komplex aus Komplexen begriffen werden könnte. Es kommt ja gerade darauf an, gesellschaftliche Komplexe wie Produktion und Reproduktion in ihrer Einheit und ihrer Differenz, in ihrer Eigendynamik und ihrer Bestimmung durch das Allgemeine zu begreifen und nicht nur abstrakt das eine vom anderen zu reißen, um es dann wieder „zusammen zu denken“. Die Formulierung des „Zusammendenkens“ ist als Denkungsart des Zeitgeistes im gegenwärtigen Alltagsbewusstsein fest verankert, ohne dass es sich der theoretischen Herkunft und Implikationen der Formulierung bewusst wäre.
Die Heterogenität der Arbeitsverhältnisse
Für eine „feministische Ökonomiekritik“ (49) sei die Kritik des doppelt freien Lohnarbeiters unentbehrlich, da Marx – so Reuschling – mit diesem doppelt freien Lohnarbeiter den „männlichen“ „industriellen“ Lohnarbeiter (50, 56) meine, wodurch Frauen und nicht-industrielle Arbeit ausgeschlossen und nicht repräsentiert würden. Überhaupt sei auch anzuzweifeln, „dass in kapitalistischen Gesellschaften zunehmend alle Menschen expropriiert und dann zu freien LohnarbeiterInnen würden“ (55). Vielmehr zeige sich, dass „der Großteil der Weltbevölkerung heute nach wie vor nicht vorwiegend von ‘doppelt freier Lohnarbeit’ lebt“ (55) sondern „eine Gleichzeitigkeit und Persistenz unterschiedlicher Klassenformen, Hierarchie- und Ausbeutungsverhältnissen als funktionaler Bestandteil des Kapitalismus konstatiert“ werden müssten (55). Es geht Felicita Reuschling also darum, auf die Heterogenität sowohl von Arbeitsverhältnissen als auch von Klassen aufmerksam zu machen. Was ist nun unter „Heterogenität der Arbeitsverhältnisse“ zu verstehen? Vermutlich einfach der Umstand, dass Menschen unterschiedliche Tätigkeiten verrichten: Die eine programmiert Computer, die andere verscherbelt Telefone oder näht T-Shirts zusammen, die nächste baut mit ihren Kindern Kaffee an und verkauft ihn auf dem Markt. Die bunte Vielfalt von Gruppen, wie die „Klassen Frauen und Bauern“ (55), die unzähligen unterschiedlichen Tätigkeiten, all das sei bisher nicht repräsentiert worden.
Nur leider erhellt das Insistieren auf die Anerkennung heterogener Arbeitsverhältnisse im Kapitalismus nicht das Spezifische kapitalistischer Ausbeutung, weshalb die Anmerkung, es gebe unterschiedliche Tätigkeiten, trivial bleibt. Eine wirkliche Erkenntnis brächte die Analyse, was die unterschiedlichen, „heterogenen Arbeitsverhältnisse“ gemeinsam haben und was sie unterscheidet von historisch vorhergegangenen Formen. Genau das beschreibt Marx: Die ArbeiterInnen verrichten ihre Arbeit zu Hause, in der Manufaktur, in der Fabrik, sie leisten geistige Arbeit durch die Verwissenschaftlichung derselben, sie ziehen als Wanderarbeiterinnen umher (MEW 23, 421), werden bloß in kurzer Zeit intensiv eingesetzt oder müssen über lange Zeit eintönigen Tätigkeiten nachgehen. Allen diesen „heterogenen Arbeitsverhältnissen“ ist gemeinsam, dass durch sie der relative Mehrwert erhöht, also die notwendige Arbeitszeit zur Reproduktion der Arbeitskraft im Verhältnis zur Mehrarbeit verringert wird (MEW 23, 331-340, 421, Grundrisse 592ff).
Der Klassenbegriff
Ebenso wie Felicita Reuschling hier die unterschiedlichen Erscheinungsweisen des Prinzips der Erhöhung des relativen Mehrwerts für das einzig wirkliche hält, verfährt sie auch mit dem Klassenbegriff: Das Proletariat wird zur Klasse der männlichen Industriearbeiter im Blaumann. Tatsächlich sind Klassen aber die Personifikationen ökonomischer Kategorien (MEW 23, 16) (Frauen sind also keine Klasse, wie Reuschling annimmt (55)).
So verschwindet hinter der Forderung nach Anerkennung die Kritik der durch produktive Arbeit entstehenden und sich reproduzierenden Armut und die Forderung nach einer Praxis, dieLohnarbeit abschafft.
Der Begriff der Klasse bei Marx erschöpft sich also nicht in einem rein soziologischen Gehalt, wie es Reuschlings positivistische Identifikation einer bestimmten sozialen Erscheinungsweise (Proletariat = männliche Industriearbeiter des neunzehnten Jahrhunderts)13 mit der Personifikation einer ökonomischen Kategorie suggeriert. „Personifikation einer ökonomischen Kategorie“ meint vielmehr, dass sich in den Klassen die ökonomische Struktur einer Gesellschaft darstellt. Eine Klasse ist darüber bestimmt, aus welchen Quellen sie ihr Leben bestreitet, wie sie zu den gesellschaftlichen Arbeits- und Subsistenzmitteln steht (MEW 25, 892/893).14 Wie sich in der Geschichte die grundlegenden ökonomischen Kategorien verändert haben, so auch die Klassen. Die kapitalistische Gesellschaft basiert auf dem Verhältnis der beiden nicht voneinander lösbaren Pole Kapital und Lohnarbeit, auf der Trennung der Nicht-Eigentümer von ihren Produktionsmitteln und damit vom gesellschaftlichen Reichtum. Proletariat bezeichnet also den Mangel an Subsistenz- und Arbeitsmitteln. Für die Behauptung, mit dem doppelt freien Lohnarbeiter sei bei Marx der männliche Industriearbeiter gemeint und daher Frauen nicht repräsentiert, bringt die Autorin auch gar keine Belege, was nicht verwundert, da es bei Marx keine Belege dafür gibt. Nun mag die Ansicht, es handle sich beim doppelt freien Lohnarbeiter um männliche Industriearbeiter im Blaumann, weit verbreitet sein. Von einer ernsthaften Kritik, die ihre theoretischen VorgängerInnen „durcharbeiten“ will (60), wäre allerdings etwas anderes zu erwarten. Tatsächlich finden sich bei Marx Stellen, an denen er explizit auf die Lohnarbeit von Frauen und auch Kindern eingeht, vor allem in der Auswertung der Berichte der Fabrikinspektoren Englands (zum Beispiel im ersten Band des Kapitals MEW 23, Kapitel 13, S. 416Ff, 487ff. exemplarisch auch der Bericht über Mary Anne Walkley, die 1863 als Putzmacherin an Überarbeitung stirbt MEW 23, 269f.).
Die Tendenz des Kapitals
Den zweiten „Kritikpunkt“, dass „der Großteil der Weltbevölkerung heute nach wie vor nicht vorwiegend von ‘doppelt freier Lohnarbeit’ lebt“ (55) sondern „eine Gleichzeitigkeit und Persistenz unterschiedlicher Klassenformen, Hierarchie- und Ausbeutungsverhältnissen als funktionaler Bestandteil des Kapitalismus konstatiert“ werden müssten (ebd.), widerlegt die Empirie. Betrachtet man die Entwicklung der Agrarwirtschaft im zwanzigsten Jahrhundert, so zeigt sich, dass noch 1945 fünfzig Prozent der Bevölkerung in Frankreich in der Landwirtschaft arbeiteten (Jonas, 44).
Tendenziell wird also die Arbeit zu Lohnarbeit, die Mehrheit der Weltbevölkerung proletarisiert und damit Teil der Klasse der ProletarierInnen, also BäuerInnen zu AgrararbeiterInnen, ebenso wie Hausarbeit zu schlecht bezahlter, oft von Frauen geleisteter Lohnarbeit wird.
Heute hingegen sind in „den Industrieländern […] nur noch zwischen zwei und acht Prozent der Erwerbsbevölkerung, meist als Lohnempfänger, in der Agrarwirtschaft tätig und auch global hat nach Angaben der Weltarbeitsorganisation die Zahl der städtischen Lohnarbeiter die der in der Agrarwirtschaft Tätigen seit den 1990er Jahren längst überflügelt“ (Jonas, 46). Peter Jonas weist darauf hin, dass 72 Prozent der weltweit in der Landwirtschaft Tätigen auf 23 Schwellenländer entfallen, diese aber nur 22 Prozent der Weltagrarproduktion leisten. Es setzt sich die Tendenz des Kapitals durch, die gesamte weltgesellschaftliche Reproduktion warenförmig zu gestalten. Tendenziell wird also die Arbeit zu Lohnarbeit, die Mehrheit der Weltbevölkerung proletarisiert und damit Teil der Klasse der ProletarierInnen, also BäuerInnen zu AgrararbeiterInnen; ebenso wird Hausarbeit zu schlecht bezahlter, oft von Frauen geleisteter Lohnarbeit. Der (welt)gesellschaftliche Reichtum – als Gegensatz zum Proletariat (MEW 2, 37) – wird kapitalistisch hergestellt, auch wenn es immer noch Subsistenzwirtschaft gibt. Im Übrigen sind nicht nur die Menschen ProletarierInnen, die tatsächlich in Lohn und Brot stehen, sondern auch die, deren Arbeitskraft gerade nicht gebraucht wird und die sich irgendwie über Wasser halten müssen. Sie bilden einfach nur die Reservearmee des Proletariats (MEW 23, 661) und sind so – auch wenn sie beispielsweise gezwungen sind, Subsistenzwirtschaft zu betreiben – ausgeschlossen vom gesellschaftlichen Reichtum. Dass die Subsistenzwirtschaft als „Teil des Problems kapitalistischer Vergesellschaftung“ zu verstehen ist, hebt Felicita Reuschling richtigerweise hervor (57).
Die toten Fakta des verdinglichenden Bewusstseins und die undurchschaute Oberfläche der Gesellschaft
Weshalb unterlaufen der Autorin diese Fehldeutungen? Ihnen liegt in unterschiedlichen Variationen die Identifizierung von allgemeinen mit besonderen Bestimmungen einer Sache zugrunde: Wie in der Gegenüberstellung mit Maria Mies gezeigt, identifiziert Felicita Reuschling hier die allgemeine Form der Arbeit mit der historisch-spezifischen Form der Lohnarbeit. Ihre Fehldeutung des Klassenbegriffs beruht ebenfalls auf der Identifizierung einer historischen Erscheinungsweise des Proletariats mit der allgemeinen Bestimmung, eine Seite des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital darzustellen. Zugleich und damit einhergehend verkennt dieses Denken das Verhältnis von allgemein wesentlichen Formen und der Vielheit ihrer Erscheinungsweisen. Die Konsequenz ist, dass so eine Seite dieses Verhältnisses von Einheit und Vielheit vereinseitig wird und nur noch die chaotische Vielheit als Wirklichkeit akzeptiert werden kann. Statt den Schein des Chaotischen aufzuklären, verkommt Theorie dazu, diesen Eindruck unerhellt zu lassen und somit die Oberfläche der Gesellschaft unbewusst gedanklich zu verdoppeln. Dieses im Grunde positivistische Denken führt dann auch dazu, dass der Begriff der Tendenz überhaupt nicht vorkommt. Aber nicht nur das, im folgenden Abschnitt möchte ich zeigen, dass auch das Denken der Möglichkeit und damit das Denken, das über den gegenwärtigen Zustand hinausweist, verloren geht.
Die Möglichkeit
Die globale Durchsetzung der Lohnarbeit bedeutet einerseits den bis zum Kapitalismus noch nie dagewesenen Fortschritt der Befreiung des Individuums aus allen „naturwüchsigen“ Ketten wie Familie und Boden. Andererseits aber die Verelendung15 und Ausbeutung der Mehrheit der Menschen. Die kapitalistische Form der Produktion (die mitnichten identisch ist mit Industrieproduktion), stellt die Möglichkeit bereit, mit immer weniger Arbeitszeit immer mehr Produkte zur Befriedigung der Menschen herzustellen.16 Sie schafft die Bedingungen dafür, die Ökonomie der Zeit den Zwecken der Menschen unterzuordnen. Allerdings ist das kein Prozess, der sich automatisch verwirklicht. Die Menschen müssen die vorhandenen Möglichkeiten, ihre Produktion und Reproduktion nach den eigenen individuellen Bedürfnissen gemeinsam zu organisieren und zu regeln, schon selbst verwirklichen. Dass Marx schreibt, produktiver Arbeiter zu sein, sei ein Pech, zugleich aber das Potential der Lohnarbeit begreift,17 ist also keine „Ambivalenz“ (49), gleichsam eine persönliche Unentschiedenheit von Marx, wie Felicita Reuschling vermutet. Vielmehr zeigt sich hier, dass das Denken unter dem Paradigma der Differenz nicht nur blind ist gegenüber Tendenzen, sondern auch gegenüber objektiv vorhandenen Möglichkeiten. Dieses Denken kennt nur das, was positiv vorhanden ist und sich positivistisch feststellen lässt. Es geht aber darum, zu begreifen, was entstehen könnte. Um Möglichkeit kategorial zu begreifen, bedarf es der Begriffe des Wesens und der Erscheinung einer Sache.18 Eine Möglichkeit ist ja gerade das, was in einer Sache angelegt ist und verwirklicht werden kann, über den bestehenden Zustand also hinausweist. Werden diese wesentlichen „Anlagen“ einer Sache mit ihrer positiven Erscheinung identifiziert, wird die Möglichkeit eliminiert. Genau das geschieht aber, wenn einzig Differenzen repräsentiert werden sollen. Diese Denkweise zeigt sich auch exemplarisch an der Einschätzung der Produktivkraftentwicklung in dem Artikel Produktives Gebären. Reuschling unterstellt „den Marxisten“ eine Fortschrittsgläubigkeit, die blind auf die emanzipatorische Kraft der Produktivkraftentwicklung setze (57). Dabei reduziert sie den Begriff der Produktivkraft auf die vorhandene Technologie und deren Entwicklung (58/59). Produktivkraft ist allerdings nicht die Ansammlung gegenwärtig vorhandener Technik und Maschinerie, sondern ein Gattungsvermögen der Menschen. Kurz zusammengefasst ließe sich sagen, dass hinter dem Begriff des Gattungsvermögens die Einsicht steht, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Also eben nicht die bloße Aneinanderreihung isolierter Fakta, sondern als Ganzes selbst eine Kraft, wie sie sich beispielsweise in der Kooperation der Menschen zeigt (MEW 23, 349, 351-353). Produktivkraft ist also Potenz, Kraft, die objektiv in der Wirklichkeit vorhanden ist und sich in Produktionsverhältnissen und Produkten vergegenständlicht. Allerdings wird sie nie völlig verwirklicht, sondern bleibt immer ein „Möglichkeitspool“. Die Produktivkraft ist also nie völlig identisch mit der vorhandenen Technologie und Maschinerie. Felicita Reuschling aber identifiziert die gegenwärtige, historische, kapitalistische Form der Produktion und der Produktionsmittel mit der Produktivkraft. Durch diese Identifikation von Produktivkraft mit Produktionsmittel erscheint die „Irrationalität kapitalistischer Produktion […] als Eigenschaft des erreichten Produktivkraftniveaus überhaupt, und die kapitalistische Form wird zur Wesensbestimmung.“( Loewe, 174/175) Die Entwicklung der Produktivkraft muss dann als immer schon verwoben und nicht lösbar von der kapitalistischen Produktion missverstanden werden.19 Hier zeigt sich abermals das Versagen des Differenzparadigmas vor der Wirklichkeit.
Kapitalismus und Geschlechterverhältnis
Die geschlechtliche Arbeitsteilung ist nicht notwendiger Bestandteil kapitalistischer Produktion. Dem Kapital ist es schlichtweg egal, wen es ausbeutet.20 Das bedeutet leider nicht, dass die Menschen im Kapitalismus nicht mehr gezwungen wären, sich in die Geschlechtscharaktere Frau und Mann mit dazu gehörigem Rollenverhalten, Zwang, Zurichtung und Unterdrückung hineinzupressen. Hausarbeit, Familien-, Kinder- und Altenpflege sowohl unbezahlt als auch als Lohnarbeit wird ebenfalls immer noch vorwiegend von Frauen verrichtet. In welchem Verhältnis stehen also Kapitalismus und patriarchales Geschlechterverhältnis? Der Versuch der Bielefelderinnen scheitert daran, dass er nicht erklären kann, weshalb Haus-, Pflege- und Erziehungsarbeit gerade von Frauen übernommen wird, egal ob bezahlt oder unbezahlt.
Die Antwort darauf ist wohl in der Subjektkonstitution der Individuen zu suchen.21 Das patriarchale Geschlechterverhältnis, das die Menschen immer wieder herstellen, weist gegenüber der Tendenz, alle zu abstrakt gleichen LohnarbeiterInnen zu machen, eine relative Selbständigkeit und eigene Dynamik auf. Diese muss in ihrer historischen Entwicklung analysiert werden. Sie ist nur relativ selbständig, da die männliche und weibliche Subjektkonstituierung sich sehr wohl funktional in die kapitalistische Gesellschaft einfügt, gleichsam ebenso die für Lohnarbeit und Kapitalverwertung wie für Hausarbeit und für die Herstellung emotionaler Wärme brauchbaren Subjekte herstellt. Der Kapitalismus überformt das schon vorkapitalistische Gesellschaften strukturierende Patriarchat. Dieses geht aber nicht in den Kategorien der Kritik der politischen Ökonomie auf. Die Positionen, die meinen, das Geschlechterverhältnis rein mit den Begriffen der Kritik der politischen Ökonomie erklären zu können, liegen also ebenso falsch wie die, die einen „blinden Fleck“ zu entdecken glauben.22 Vielmehr muss das „philosophische“ und methodische Erbe der Kritik der politischen Ökonomie geborgen werden: Hier liegen die Begriffe und das dialektische Denken bereit, die historische Entwicklung des Geschlechterverhältnisses in seiner Einheit und Differenz mit der ökonomischen Produktion zu verstehen. Das setzt voraus, den gesellschaftlichen Lebensprozess als Totalität zu begreifen.
Die Autorin lebt in Leipzig.
Literatur:
Barrett, Michèle: Das unterstellte Geschlecht. Umrisse eines marxistischen Feminismus. 2. Auflage, Berlin 1990.
Böhme, Micha: Die Verdinglichung gesellschaftlicher Verhältnisse im Subjekt, in CEEIEH 164 und 165 http://www.conne-island.de/nf/164/21.html und http://www.conne-island.de/nf/165/22.html.
Gruber, Alex: Zur Ontologie der Differenz, in: Bahamas 57/2009. Haug, Frigga: Attacken auf einen abwesenden Feminismus. Ein Lehrstück in Dialektik, in: ARGUMENT 274, 2008, S. 9-20.
Hegel, G.W.F.: Vergleich des Schellingschen Prinzips der Philosophie mit dem Fichteschen, in: ders.: Jenaer Schriften, Werke in zwanzig Bänden, Frankfurt am Main 1970, S.94-115.
Jonas, Peter: Jenseits der Agrarrevolution, in: Kosmoprolet Nr. 3, Berlin 2010, S. 40-54.
Loewe, Raasan Samuel: Proletarische Bewegung und Produktivkraftkritik, in: Kosmoprolet Nr. 3, Berlin 2010, S.162-198.
Looks, Kat: Überlegungen zur Kritik der Gesellschaft, in: outside the box 3, Bogen 10.
Marx, Karl: MEW, Berlin 1954-1976.
Marx, Karl: Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Berlin 1953.
Mies, Maria (a): Subsistenzproduktion, Hausfrauisierung, Kolonisierung, in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis 9/10, 1983, S.115-124.
Mies, Maria (b): Gesellschaftliche Ursprünge der geschlechtlichen Arbeitsteilung, in: Bennholdt-Thomsen, Veronika/ Mies, Maria/ von Werlhof, Claudia: Frauen, die letzte Kolonie. Zur Hausfrauisierung der Arbeit, 3. Auflage, Berlin 1992, S. 164-193.
Mohs, Charlotte/ Linkerhand, Korinna: Natürlich gesellschaftlich? Überlegungen zu Natur, Arbeit und Geschlecht, in: outside the box 4.
Reuschlings, Felicita: Produktives Gebären: Elemente einer feministischen Ökonomiekritik, in: outside the box 3, S. 49-60.
Trumann, Andrea: http://associationcritique.blogsport.de/audio-vortraege/kapitalismus-patriarchat-audio/
Werlhof, Claudia von: Frauenarbeit: Der blinde Fleck in der Kritik der politischen Ökonomie, in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis 1, 1978, S. 18-32.**
-
Dazu auch der Artikel von Frigga Haug „Attacken auf einen abwesenden Feminismus. Ein Lehrstück in Dialektik“ erschienen im ARGUMENT 274, 2008, S. 9-20. ↩
-
Michèle Barrett bietet einen Überblick über die unterschiedlichen Antworten auf die Frage, wie sich patriarchales Geschlechterverhältnis und Kapitalismus zu einander verhalten. Zu Theorien zur Reproduktion Seite 26-34. ↩
-
„Was hier definiert wird, ist nichts anderes als ein Prozeß fortgesetzter ursprünglicher Akkumulation als logischem und grundlegendem Bestandteil des Kapitalverhältnisses, mit der Dritten Welt bzw. dem Agrarsektor als Ort dieses Prozesses, der den Zweck hat, die Akkumulation in der Ersten Welt bzw. den Städten überhaupt zu ermöglichen.“ ( von Werlhof, 21, vgl. auch 23/24) ↩
-
Maria Mies schreibt, Bauern und Frauen teilten einen „wesentlichen gemeinsamen strukturellen Kern“, der darin bestehe, dass nur Frauen aus ihren Körpern Kinder und nur Bauern wirklich Nahrung aus dem Boden hervorbringen können (Mies (a), 117). Diese Stelle zeigt sehr gut, wie schief die Analogie von Frauen und Bauern und deren Subsumtion unter den ausgehöhlten Begriff der Subsistenzproduktion ist: Jede kann Bäuerin werden und lernen, wie man Nahrung aus dem Boden hervorbringt. Niemand kann aber lernen, ein Kind zu gebären, wenn er keine Gebärmutter hat. Dass die Vorstellung, Bauern seien auf immer an ihre Scholle und ihren Beruf gebunden, gerade im Kapitalismus falsch ist, werde ich später thematisieren. Der gleiche Fehlschluss findet sich bei Claudia von Werlhof auf Seite 21. ↩
-
Die Hauptfehler der Bielefelderinnen liegen im Auseinanderreißen von Produktion und Reproduktion und von Produktion und Zirkulation und in einem ungenauen Reproduktionsbegriff, der einmal die Reproduktion der Produktionsbedingungen, das andere mal die im weitesten Sinne generative Reproduktion zu meinen scheint. Einige dieser Verkehrungen übernimmt Felicita Reuschling, worauf ich im Laufe des Artikels eingehen werde. ↩
-
Bei Maria Mies heißt es: „Die Ware selbst ist tot (Tauschwert), sie kann erst wieder durch Subsistenzarbeit, Lebensarbeit, Hausfrauenarbeit (‘Liebe’) zum Leben (Gebrauchswert) erweckt werden. Den Waren muss diese unbezahlbare Arbeit zugesetzt werden, sonst sind sie ‘ungenießbar’ – tödlich.“ (Mies (a), 117). ↩
-
Alex Gruber beschreibt dieses Denken sehr gut in dem Artikel Zur Ontologie der Differenz, erschienen in der Bahamas 57/2009, den ich sehr empfehlen möchte. ↩
-
Nicht im Sinne einer voluntaristischen, subjektivistischen Herstellung des Selbst aus sich Selbst. Im Begriff der Arbeit ist ja gerade das Verhältnis zur für den Menschen nicht völlig verfügbaren Natur beinhaltet. ↩
-
Im Übrigen handelt es sich hier tatsächlich um anthropologische Bestimmungen, vor denen so gerne zurück geschreckt wird. Die Folge ist die Verewigung des gerade Gegebenen, wie ich sie auch Reuschling vorwerfe. Gerade der Versuch von Mies, trotz aller falschen Konsequenzen, die sie zieht, zeigt aber ja gerade, wie die Bedingungen des menschlichen Seins relativ veränderbar sind, wenn man methodisch vom Begriff der Arbeit ausgeht: Um sich zu reproduzieren, müssen Frauen Menschen gebären, die kulturellen Leistungen von Frauen, welches Wissen und welche Technik des Gebärens vorhanden sind etc. sind veränderbar und haben sich in der Geschichte ja auch verändert. In dem Artikel Überlegungen zur Kritik der Gesellschaft, erschienen in der outside the box # 3, habe ich meine Gedanken zu diesem Problem geäußert. ↩
-
Micha Böhme veröffentlichte im Conne Island Newsflyer 164 und 165 den Artikel Die Verdinglichung gesellschaftlicher Verhältnisse im Subjekt, in dem sie Natur und Geschlecht als Grenzbegriffe entwickelt (http://www.conne-island.de/nf/164/21.html http://www.conne-island.de/nf/165/22.html). ↩
-
Der abgekanzelte Hegel schreibt dazu: „So gut die Identität geltend gemacht wird, so gut muß die Trennung geltend gemacht werden. Insofern die Identität und die Trennung einander entgegengesetzt werden, sind beide absolut; und wenn die Identität dadurch festgehalten werden soll, daß die Entzweiung vernichtet wird, bleiben sie einander entgegengesetzt. Die Philosophie muß dem Trennen in Subjekt und Objekt sein Recht widerfahren lassen; aber indem sie es gleich absolut setzt mit der der Trennung entgegengesetzten Identität, hat sie es nur bedingt gesetzt, so wie eine solche Identität – die durch Vernichten der Entgegengesetzten bedingt ist – auch nur relativ ist. Das Absolute selbst aber ist darum die Identität der Identität und Nichtidentität; Entgegensetzen und Einssein ist zugleich in ihm.“ (G.W.F. Hegel: Vergleich des Schellingschen Prinzips der Philosophie mit dem Fichteschen, in: Ders.: Werke in zwanzig Bänden Bd. 2. Jenaer Schriften, Frankfurt am Main 1970, S. 96.) ↩
-
Im Abschnitt zur Methode der Kritik der politischen Ökonomie in den „Grundrissen“ legt Marx den Gang der Theorie dar von der „chaotischen Vorstellung des Ganzen“ wie es sich dem Verstand darstellt, über die Zerlegung durch Abstraktion bis hin zum Weg zurück zum Ganzen, „diesmal aber nicht als […] einer chaotischen Vorstellung eines Ganzen, sondern als einer reichen Totalität von vielen Bestimmungen und Beziehungen.“ (Karl Marx: Einleitung. In: ders.: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 21). Das Konkrete ist also nicht das unmittelbar gegebene, sondern „die Zusammenfassung vieler Bestimmungen […], also Einheit des Mannigfaltigen.“ (ebd.) ↩
-
Welche Erscheinungsweise Felicita Reuschling vorschwebt, weiß ich nicht genau. Ein Blick in die Geschichte hätte ja gezeigt, dass sogar auf der Erscheinungsebene die Identifikation von Proletariat mit „männlicher Industriearbeiter“ nicht stimmt: Nicht nur im 19. Jahrhundert mussten nicht-bürgerliche Frauen sehr wohl in Nähstuben, Manufakturen und Fabriken schuften, sondern auch der Typ der nicht lohnarbeitenden Hausfrau eines Fabrikarbeiters der 1950er Jahre war nicht so weit verbreitet. Vielmehr ist dieses Bild Teil des Kampfes der männerdominierten Facharbeiterschaft, die ihn gegen Frauenarbeit und für den sogenannten Familienlohn zu Ungunsten der Frauen einsetzten und hier mit dem sogenannten Wohlfahrtstaat kollaborierten, wie Michèle Barrett zeigt (137-165). ↩
-
Daraus ergibt sich auch, dass Marx sehr wohl begreift, dass es erstens in der Geschichte mehr Klassen als nur zwei gab und zweitens auch im gegenwärtigen Kapitalismus die beiden Klassen des Proletariats und des Kapitals nicht in Reinform bestehen, sondern einen idealen Durchschnitt meinen. Im nächsten Abschnitt wird sich zeigen, dass die kapitalistische Vergesellschaftung tendenziell alle diesem idealen Durchschnitt subsumiert, die Vereinheitlichung und Homogenisierung der Klassen also tendenziell zu nimmt. ↩
-
Mit Verelendung meine ich nicht nur materielle Not, sondern auch geistige und psychische, also die Verkümmerung der Kräfte und Potential, die die Menschen haben könnten. ↩
-
Die „Innovationskraft“ liegt in dem Zwang, den relativen Mehrwert erhöhen zu müssen (MEW 23, Kap.10) ↩
-
MEW 23, 527f. ↩
-
Wesen und Erscheinung hier im Sinne des historischen Materialismus, als historisch entstandene. ↩
-
Amüsanterweise schreibt Marx selbst in dem sehr anschaulichen Kapitel zur Kooperation im Kapital, wie und weshalb es zu dieser Identifizierung von Produktivkraft mit der kapitalistischen Form der Kooperation im Arbeitsprozess kommt (MEW 23, 351-355). ↩
-
Die Form der doppelt freien LohnarbeiterInnen beinhaltet ja gerade die abstrakte Gleichheit und Freiheit der Menschen. ↩
-
Der Artikel Natürlich gesellschaftlich? Überlegungen zu Natur, Arbeit und Geschlecht von Charlotte Mohs und Korinna Linkerhand in dieser Ausgabe widmet sich dieser Frage. Ebenfalls aufschlussreich ist die Diskussion mit Andrea Trumann zur männlichen Subjektkonstitution vom 28.11.2010 in Bielefeld, hörbar auf audioarchiv: http://associationcritique.blogsport.de/audio-vortraege/kapitalismus-patriarchat-audio/ ↩
-
Einen knappen Überblick über die Probleme der Hausarbeitsdebatte gibt der Artikel von Maria Asenbaum und Katherina Kinzel Wert und Wettex. Marxismus und Feminismus: http://www.linksnet.de/de/artikel/25295 ↩